Ein Pony mit Herz
denn?“
„Sollen wir sie hierher überführen?“
Alle riefen durcheinander.
„Moment bitte! Eins nach dem andern. Also: Die Pferde sind von ein paar privaten Tierschützern aus einem Transport für Schlachtpferde entführt worden. Offensichtlich aus Polen. Die Begleiter haben die Lastwagen übers Wochenende einfach auf einem Parkplatz abgestellt und sind nach Hause gefahren. Die Tiere standen da in der Kälte, ohne Wasser, ohne Futter, zwei waren schon eingegangen, drei andere schwerkrank. Der Transport war wohl für Frankreich oder Spanien bestimmt, möglicherweise sollten die Pferde sogar nach Nordafrika verschifft werden. Erspart mir weitere Einzelheiten, wir müssen uns beeilen. Wer fährt mit?“ Natürlich sprangen alle zugleich auf.
„Halt, stop, so viele haben gar nicht in unseren Wagen Platz. Bille, nimmst du Florian, Beppo und Peter mit? Vielleicht kann sich Mini noch mit auf den Rücksitz quetschen. Drei können bei mir mitfahren, drei oder vier bei Hannes. Alle anderen warten bitte drüben auf dem Hof auf Huberts Anleitungen, denn es muß ja auch Platz für die Pferde geschaffen werden.“
„Ist das nicht gefährlich, sie mit unseren Pferden zusammenzubringen?“ erkundigte sich Bettina. „Wenn sie nun ansteckende Krankheiten haben?“
„Stimmt. Deshalb richten wir notdürftig die leere Scheune neben dem alten Kuhstall her. Da werden alle Hände gebraucht. Herr und Frau Körber sind schon auf dem Weg, auch Ignaz der Schreckliche, pardon, Herr Albert, wollte ich sagen“, korrigierte sich Simon grinsend. War ihm doch der Spitzname des beliebten Lehrers einfach so rausgerutscht! Im übrigen ist Doktor Dörffler im Tierheim schon dabei, die Pferde zu untersuchen und medizinisch zu versorgen. Also los, kommt!“
„Und ich gehe mit den anderen in die Scheune. Wir können später weiterfeiern!“ Johnny der Indianer löschte die Kerzen auf dem Tisch und vergewisserte sich, daß er nirgendwo eine vergessen hatte, die später womöglich den Stall in Brand setzte. Bei so einem Tumult, wie er jetzt herrschte, wurde leicht mal etwas übersehen.
Draußen war es bereits dunkel. Wie die Feuerwehr rasten sie zu den bereitstehenden Wagen hinüber, an die Tom, Hubert und Hans Tiedjen bereits in fieberhafter Eile die Transportanhänger gekuppelt hatten. Im Konvoi fuhren sie vom Hof. Bald hatten sie das Tierheim, das in einem ruhigen Außenbezirk Neukirchens lag, erreicht, und parkten vor dem weitgeöffneten Tor.
Auf dem kleinen Hof herrschte drangvolle Enge. Die Pferde standen am Zaun angebunden eng nebeneinander. Trotzdem war es still, gespenstisch still, wie Bille fand. Die Tiere ließen apathisch die Köpfe hängen, sie hatten Wasser und auch Futter bekommen, soweit sie noch in der Lage waren, etwas zu sich zu nehmen. Alle waren von den qualvollen Stunden des Transports zu Tode erschöpft.
Tierarzt Dr. Dörffler hatte inzwischen alle gründlich untersucht. Zwei einjährige Hengste, die sich in ihrer Panik geschlagen und gebissen hatten, waren bereits in der Tierklinik abtransportiert worden, für eine alte Stute war jede Hilfe zu spät gekommen.
Es war eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft. Junge Hengstfohlen neben altgedienten Turnierpferden, Bauernpferde, die ihr Leben lang in der Landwirtschaft gearbeitet hatten, neben Ponys, die auf Jahrmärkten Kindern zum Reiten gedient hatten.
Frau Wohlgemut, die augenblickliche Leiterin des Tierschutzheims, wirkte fast ebenso erschöpft wie die Pferde. Sie war eine kräftige, energische Frau, doch dieser unerwartete Zuwachs auf dem Gelände, das eigentlich nur Platz für Kleintiere bot, hatte sie überfordert. Der Reitverein Neukirchen war mit Futter und ein paar Decken eingesprungen, aufnehmen konnte man dort keinen der Gäste aus Polen. Auch an helfenden Händen hatte es gefehlt. Außer zwei Pressefotografen, die begierig auf eine Sensationsmeldung eifrig drauflos fotografiert hatten, hatte niemand seinen Sonntag opfern wollen. So war Rita Wohlgemut heilfroh, als Hans Tiedjen mit seiner Mannschaft in ihrem Büro auftauchte.
„Danke, daß Sie so schnell gekommen sind, Herr Tiedjen! Ich habe überall herumtelefoniert, aber niemand will die Pferde zu sich nehmen. Die Angst vor einer Ansteckung mit irgendwelchen Infektionskrankheiten ist zu groß. Und wer hat schon den Platz, die Tiere längere Zeit in Quarantäne zu halten.“
„Machen Sie sich keine Sorgen, wir werden das bei uns organisieren. Was sagt der Tierarzt?“ erkundigte sich Hans Tiedjen.
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