Ein Pony mit Herz
Füßen die Pedale zu erreichen und über das Lenkrad hinweg durch die Frontscheibe zu sehen; ihre Fahrt glich einem Blindflug.
Wenn sich jetzt die Räder im weichen Waldboden festfressen, ist alles aus, schoß es Mini durch den Kopf. Für einen Augenblick schien es tatsächlich so, die Räder drehten durch und wühlten sich in den Untergrund. Im Rückspiegel sah Mini, wie die Männer den Pfosten losließen und auf sie zurannten. Wenige Meter trennten sie noch vom Wagen, da schoß der im letzten Augenblick vorwärts und holperte durch das Unterholz davon.
Mini atmete auf. Sie war wieder auf festem Boden. Vor ihr im Licht der Scheinwerfer konnte sie den Weg erkennen und erreichte bald die schmale Asphaltstraße, die zum Gestüt Schönhaide führte. Mannomann , dachte Mini, ein Glück, daß Giuseppe mich heimlich so oft hat fahren lassen! Jetzt bloß langsam, damit ich heil bis zum Hof komme!
Rolf Ewersen, der Bauer von Schönhaide , hatte mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen gerade die lokale Abendschau angesehen und kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen, daß bei seinem Freund Tiedjen in Groß-Willmsdorf ein Mädchen aus dem Reiter-Internat verschwunden war, als ein Wagen auf den Hof donnerte und ein ohrenbetäubendes Hupkonzert angestimmt wurde. Rolf Ewersen stürmte zum Fenster und riß es auf. „Ja, ist denn da einer total verrückt geworden! Ist der Kerl besoffen, oder was ist los?“
Neben ihm drängten seine Frau und die halbwüchsigen Söhne heran.
„Da ist ja niemand drin!“ stellte Frau Ewersen verblüfft fest. „Wo gibt’s denn das? Haben wir neuerdings Gespenster auf dem Hof?“
Mini, zwar aus Fleisch und Blut, aber schneeweiß im Gesicht wie das vermeintliche Gespenst, stolperte aus dem Führerhaus des Kleinlasters und wankte zum Fenster herüber.
„Hilfe!“ stammelte sie. „Schnell, bitte, Sie müssen mir helfen! Bitte, Herr Ewersen!“
Frau Ewersen hatte sich als erste gefaßt. „Mein Gott, Rolf! Das Kind! Das Mädchen, das sie suchen, sie ist es! Warte!“ rief sie. „Wir kommen raus.“
Sekunden später umringten sie Mini.
„Wenn wir uns beeilen, erwischen wir sie noch“, bat Mini atemlos. Die Aufregung hatte sie völlig erschöpft. In wenigen Sätzen hatte sie das Wesentliche berichtet. Daß sie versucht hatte, als blinder Passagier bis nach Hamburg zu kommen, und so Zeuge eines Umweltverbrechens geworden war.
Jetzt handelte Rolf Ewersen blitzschnell. Ein Blick auf die Ladung, und er wußte Bescheid.
„Findest du die Stelle im Wald wieder?“ fragte er.
„Klar!“ Mini nickte heftig.
„Dann komm. Die Polizei können wir von meinem Wagen aus anrufen!“ Hastig wandte er sich zu seiner Frau und seinen Söhnen um. „Ihr drei paßt auf, daß niemand den Laster hier anfaßt, bis die Beamten den Wagen untersucht haben. Sie werden sicher gleich jemanden schicken. Und ruft inzwischen auch in Groß-Willmsdorf an, daß Mini hier ist!“ Im Laufschritt erreichten sie seinen Wagen und fuhren gleich darauf die Strecke zurück, die Mini eben gekommen war. Während der Fahrt rief Rolf Ewersen die Polizei an und unterrichtete sie über das, was Mini erlebt hatte.
„Vermutlich sind die Kerle jetzt auf der Flucht“, sagte er. „Wäre nicht schlecht, wenn man sie einkesseln würde. ...Ja, das Waldstück südlich von Schönhaide . In Ordnung, Wachtmeister, wir erwarten Sie dort.“ Rolf Ewersen hängte ein, dann wandte er sich Mini zu.
„Eine reife Leistung, Mädchen. Wie hast du das bloß geschafft? Den Laster bis zu uns auf den Hof zu fahren!“
„Ach“, sagte Mim. „Wenn man total ausflippt vor Wut, schafft man so was. Natürlich hab ich schon mal geübt, mit dem Trecker. Bei uns zu Hause sind sie da nicht so streng.“
„Und wo ist das, bei dir zu Hause?“
„Im Moment gerade Florida. Also, sonst überall auf der Welt. Wir sind beim Zirkus, meine Eltern und ich. Herr Ewersen, glauben Sie, daß ich Probleme kriege, weil ich ohne Führerschein gefahren bin?“ fragte Mini zaghaft.
Rolf Ewersen nickte. „Ohne Verwarnung wird das sicher nicht abgehen. Aber ich denke, sie werden deine mutige Tat berücksichtigen und entsprechend milde urteilen. Auf jeden Fall werde ich ein gutes Wort für dich einlegen.“
„Achtung! Da vorn müssen wir abbiegen!“
„Ich sehe es, an deinen Radspuren! Du bist einen heißen Reifen gefahren.“
„Na ja“, gestand Mini ein, „ich hatte furchtbare Angst, daß die Kerle hinter mit herrennen und mich einholen würden! Hätte ja auch
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