Ein Prinz wie aus 1001 Nacht
zurückzuhalten, angesichts der Erkenntnis, dass der Geiz ihres Vaters im ganzen Umland als geradezu legendär galt. Jeanies gnadenlose Offenheit und ihre taktlosen Bemerkungen führten häufig zu Reibereien unter dem Personal. Kirsten hingegen fiel es leicht, ihr diesen Wesenszug nachzusehen, weil sie ihre ansonsten warmherzige, freundliche Art schätzte.
„Jeanie …“
„Versuch gar nicht erst, mir etwas vormachen zu wollen. Du weißt ganz genau, dass ich Recht habe. Ich habe ein, zwei Geschichten darüber gehört, wie es dir zu Hause ergeht, und das ist ganz bestimmt kein Zuckerschlecken!“
„Trotzdem bin ich nicht bereit, die Belange meiner Familie mit anderen zu diskutieren“, gab Kirsten steif zurück.
Jeanie verdrehte unbeeindruckt die Augen und grinste. „Ich wette, du bist immer noch fürs Kochen und die grobe Hausarbeit zuständig, stimmt’s? Mabel, dieser alte Sauertopf, wird dich genauso wenig gehen lassen wollen wie dein Vater, wenn du mich fragst.“
„Das tue ich aber nicht.“
„Du musst den Tatsachen ins Auge sehen, Kirsten! Du bist jetzt zweiundzwanzig, und der einzige Weg, endlich ein eigenes Leben führen zu können, heißt Flucht! Lauf, so schnell und so weit dich deine Beine tragen, ehe dieses egoistische Pärchen dich einholen kann!“
„Wir werden sehen“, murmelte Kirsten und senkte den Kopf, um sich wieder ganz auf ihre Arbeit zu konzentrieren.
Es würde sie eine ganz schöne Stange Geld kosten, irgendwo allein einen Haushalt einzurichten. Einfach wegzulaufen mochte eine reizvolle Idee sein, aber ohne den notwendigen Rückhalt, auch eine ziemlich törichte. Denn dann würde sie unweigerlich in die Armut abrutschen.
Wovon Kirsten träumte, war, sich eine kleine, gemütliche Wohnung leisten zu können, von wo aus sie ihre Zukunft planen konnte. Ich muss nur noch eine Weile Geduld haben, redete sie sich ein.
Immerhin war sie erst sechs Wochen im Castle angestellt. Und da ihr Vater einen Großteil ihres Verdienstes dafür verlangte, dass er sie weiter zu Hause wohnen ließ, würde es wohl noch ein paar Monate dauern, ehe sie daran denken konnte, ihren Traum zu verwirklichen. Doch so eilig war es ihr damit auch gar nicht.
Ihr Job, so schlicht und unbedeutend er auch sein mochte, war für Kirsten eine Art Rettungsanker. Ihr gefiel es, sich in der mittelalterlichen Pracht des historischen Castles aufhalten und bewegen zu können. Selbst der lange Weg bis hierher, den sie jeden Morgen mit ihrem Rad zurücklegte, vermittelte ihr ein lang entbehrtes Gefühl von Freiheit. Ebenso die Gelegenheit, völlig unterschiedliche Menschen zu treffen und sich mit ihnen auszutauschen.
Trotzdem war ihr stets bewusst, dass es ihr nicht auf Dauer genügen würde, als Putzkraft tätig zu sein.
Kirsten erwartete mehr von ihrem Leben, doch dafür waren eine gute Ausbildung und weitere Qualifikationen notwendig.
Allein die Vorstellung, sich ihrem Vater offen zu widersetzen, jagte ihr eine Heidenangst ein. Seit ihrer Kindheit war Kirsten eingebläut worden, dass sie sich seinen rigiden Dogmen und Lebensregeln frag- und klaglos zu unterwerfen hatte. Angus Ross war ein kalter, einschüchternder Mann mit einem Hang zur Gewalttätigkeit, vor der sie ihre verstorbene Mutter mehr als einmal zu beschützen versucht hatte.
Kirstens Augen verdunkelten sich. Immer noch war sie voller Trauer über den Verlust des einzigen Menschen, den sie wirklich geliebt hatte. Als Isobel Ross schwer erkrankte, war ihre Tochter gerade mal dreizehn. Sie erholte sich nie mehr, und ihr zunehmender Verfall erforderte eine immer intensivere Pflege und Betreuung, die allein auf Kirstens Schultern lastete. Ihr Vater nannte das Frauenarbeit und war nicht bereit, auch nur den kleinen Finger krumm zu machen, um seiner Tochter zu helfen. Und ihr älterer Bruder Daniel war viel zu sehr in die Arbeit auf der Farm eingespannt, um Kirsten eine Stütze sein zu können.
Einst Klassenbeste, versäumte Kirsten zunehmend immer mehr Schultage und damit wurden naturgemäß auch ihre Leistungen schlechter. Sobald es gesetzlich erlaubt war, nahm Angus seine Tochter aus der Schule, damit sie ihre Mutter und den Haushalt rund um die Uhr betreuen konnte.
Irgendwann wurden ihrem Bruder Daniel die unbeugsamen Hausregeln zu viel, die aus dem zunehmenden religiösen Fanatismus seines Vaters resultierten, und er ging ohne große Erklärungen einfach fort.
Kirsten selbst verließ die elterliche Farm in den folgenden fünf Jahren einzig und allein, um
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