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Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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Freiheiten, und so wenig es
irgendeinem Menschen einfallen wird, sie glücklich zu nennen: die Stuben waren
ganz passabel und mit den Baracken großer Mannschaftslager nicht zu
vergleichen.
    Denn dieser Stand ehrt sich
nach absonderlichen Gesetzen, die er sich selbst gemacht hat, und schützt noch
den Kollegen von der andern Firma, ohne den es keine Existenzberechtigung für
ihn gäbe. Daß es Volksheere sind, die sich da auf Befehl der Geldgeber
totschießen — davon wissen sie nichts. Sie spielen noch immer Landsknecht, und
die gefangenen Offiziere halten Kaninchen und pflanzen Gemüsebeete. Der
Disziplin wegen. Die Berichte der deutschen Mannschaften, die in Frankreich
gefangen gewesen sind, klingen ein wenig anders.
    Worauf wir wieder den kleinen
Eiffelturm im Felsen hinuntersteigen — manchmal sieht man durch Fensterchen ins
Freie. Da glitzern die Lichter im schwarzblauen Tal, ein schwacher
Peitschenknall ertönt, und die Fledermäuse schwirren um das Fort. Gute Nacht,
schöne Pförtnerstochter (ohne Kuß).
     
    Eine halbe Stunde von
Villefranche, in den Bergen, liegt Vernets-le-Bains. Unterwegs, in Corneilla,
kann man in die uralte Kirche eintreten, wo schöne Madonnenfiguren lieblos in
eine Ecke gestellt sind. Von Vernets hat man auf den Canigou zu klettern.
    Das war ein Gebirgsmarsch wie
aus dem Bilderbuch. Der Nachtportier schließt frühmorgens das Hotel auf, im
Rucksack ist das Frühstückspaket, weil ich nicht weiß, wann ich wieder
herunterkommen werde, und kaum sind acht Stunden vergangen, bin ich oben. Mir
war das Meer versprochen worden, doch dick verhängt lag das Land. Aber darauf
kam es ja gar nicht an. Unterwegs war es viel schöner als oben.
    Unterwegs gab es lange
Grashalme, die absonderlich schmeckten, aber ohne Grasstengel im Mund kann man
nicht marschieren. Unterwegs war eine Rinderherde mit Kühen, Ochsen und Ochsen
mit Gebommel. Die Kälber liefen vor mir weg, ich sprach mit den noch rüstigen
Vätern, und wir kamen überein, uns gegenseitig nichts zu tun. Der Weg war durch
ein Gatter abgeteilt, damit sie nicht vorzeitig nach unten liefen, und alle
wollten mitkommen, sie sahen mir lange nach. Unterwegs waren drei Quellen, eine
immer frischer als die andre. Ich füllte die Thermosflasche in der obersten und
trank noch unten im Tal das eisige Quellwasser. Unterwegs war ich ganz allein,
und daher sang ich schöne Lieder. Unter andern das Soldatenlied, das ich aus
dem wahrhaftigen Kriegsbuch ‹Gaspard› gelernt habe:
     
    Paraît que la cantinière
    A de tous les côtés,
    Par devant, par derrière,
    Des tas de grains d’beauté.
    Elle en a des pieds jusqu’au seins;
    On raconte un tas dé machins...
    Vous n’y qui qui
    Vous n’y com com
    Vous n’y comprenez rien!
     
    Und alle Sträucher riefen:
«Nochmal!» wenn ich vorbeikam, und dann sang ich es nochmal und nochmal, und
unten lagen die kleinen Städte im Tal, Prades und die Eisenbahn. Und weil ich wußte,
daß dies der letzte Marsch in den Pyrenäen sein würde, deshalb preßte ich das
letzte Glückströpfchen aus allen Wegen und trank mein Eiswasser und zerbrach
beinah meinen Stock und war sehr glücklich.
     
     

Französische Provinz
     
    Das Hotel heißt Hotel de
France, und das Café heißt Café du Commerce; der Bahnhof liegt meistens draußen
vor der Stadt, wo die neuen Häuser stehen, als schämte man sich seiner, und von
da rumpelt ein Omnibus bis zum Marktplatz. Wenn das Rathaus alt ist, ist es
schön, wenn es neu ist, weniger. Am Fuße der Kirche steht eine blecherne runde
Anstalt. Der Gendarmerie hängt eine rote Fahne zum Halse heraus. Das ist die
Schule, das ist die Sparkasse, das ist die Post. Noch etwas? Nein, nichts
weiter. Keine Sehenswürdigkeiten, keine historischen Gedenkstätten, keine
Aussichtstürme — gelobt seist du, kleine Stadt!
    Der erste Eindruck der Dörfer
und der ganz kleinen Städte in den Pyrenäen ist: tot. Das macht, die Leute
halten die Fenster mit Holzläden geschlossen, die mitunter aus zwei groben
Planken bestehen, der Fliegen wegen, des Lichts wegen, damit die Luft auf den
Plätzen frisch bleibt... ich weiß nicht. Aber am hellerlichten Vormittag in
einen Flecken zu kommen — das ist gespenstisch. Abends geht‘s noch an: da
sitzen die Menschen vor den Türen, spazieren auch wohl herum und gehen vor dem
Café auf und ab.
    Unter den abendlichen Bäumen
warte ich das Menü ab. Ich weiß schon, was da aus den offenen Fenstern
herausschmurgelt: eine Suppe mit weichem Brot, ein Scheibchen

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