Ein Pyrenäenbuch
Entstehen ist: die Elektrifizierung der Eisenbahn. Überall
laufen riesige Rohre zu Tal, in denen das Wasser herunterpoltert, die Rohre
sind fast alle braun und grün gefleckt, so daß sie von oben aussehen wie
Landwege. Fliegerdeckung. Denn es gibt ja nichts, was nicht gegen die
Zerstörung durch den schlimmsten Moloch der Welt geschützt werden müßte. Im
Jahre 1910 haben sie mit der riesigen Arbeit begonnen. Zwei große
Elektrizitätswerke sollen die Strecke versorgen: eins in Eget, beim Cirque de
Troumouse, und das andre, in Soulom, das nimmt die Wasser von Cauterets und Pau
auf. Das zweite verfügt über etwa zwanzigtausend Pferdestärken. Viele Strecken
sind bereits elektrifiziert, und so wächst da in aller Stille eine moderne
Eisenbahn.
Das nimmt natürlich den
Gebirgsbächen, den ‹gaves›, mitunter die Kraft, und manchmal sieht man in den
schönsten Tälern einen stillen Bach dahersäuseln: sein Bett ist ihm drei
Nummern zu groß, er fließt artig dahin, mit wenig Wasser und ohne unnötiges
Gebrause, es ist, als ob er sonntags zur Kirche fließt. Dem haben sie das
Wasser abgegraben, und mit seiner Kraft kann ich oben schnell an ihm
vorbeifahren.
Zerstört die Bahn die Poesie?
Keine Spur. Sie verwandelt sie nur. Aber der Grund des Landes, bleibt doch.
Raymond Escholier, der lustig und bunt das Bauernleben beschreibt, erzählt
einmal im ‹Cantigril› von den zahllosen Kommissionen und Aufträgen, die
so ein Postillion der alten Schule mit auf den Weg bekam. Die Pferde ziehen
schon an, da wird ihm noch nachgerufen: «He! Sag Finotte, das Schwein beim
Schwiegervater wird Donnerstag geschlachtet! Hörst du? Donnerstag...!» Und da
ist die Postkutsche schon davongerasselt. Nun, das hat sich gar nicht geändert.
Auf einer Kleinbahnstation stand im rinnenden, nachtdunkeln Regen der Zug, und
im Lichterschwenken rief eine grelle Frauenstimme grade vor dem Wagen, in dem
ich saß, den Schaffner an: «Was ist mit der Salbe für den Hund? Die ist wieder
nicht mitgekommen! Sag doch, der Hund wär so krank!» — «Abfahren!» pfiff der
Schaffner, aber ich konnte doch noch sehen, wie er ernsthaft mit dem Kopf
nickte. Ob et sie mitgebracht hat? Darüber schlafe ich ein.
Als ich wieder aufwache, sagt
mir der Wegweiser unter den Bäumen, wo ich bin. ‹Nach Bourg-Madame 0,2 km...›
Wegweiser... Viele habe ich in den Bergen nicht getroffen. Auf manchen stand:
‹Geschenk von Citroen› — und viele stammten vom Touring Club de France. Der
nimmt heute noch, 1925, keine Deutschen auf, steht also an kleinbürgerlichen
Vorurteilen dem Deutschen Alpen-Verein keineswegs nach. Es sind wohl überall
dieselben Kommerzienräte und Geheimen Oberbaudirektoren, die bei solchen
Dummheiten den Ausschlag geben.
Da kommt ein Mistkäfer
angekrochen. Ich frage ihn, ob er weiß, wie er auf lettisch heißt. «Nein», sagt
er. Ich sage ihm. «Sie heißen Ssudebambel.» Ob er keinen andern Namen bekommen
könne? Nein. Da kriecht er weiter —
Auf dem Weg geht eine
Bauersfrau mit einem erheblichen Popo. In Andorra-la-Vella... da war im
Gasthaus eine Frau bedienstet, die hatte eine leichte Andeutung von
Steatopygie. (Der Deutsche Sprachverein: «Warum sagen Sie das nicht deutsch?» —
Ich kann nicht. — «Warum nicht?» — So... — «Sagen Sies!» Fettsteiß.
Sprachverein ab.) Dergleichen kommt bei Spanierinnen manchmal vor; ich weiß das
aus den Büchern.
Ich weiß so viel aus Büchern
über die Pyrenäen. Aber was habe ich gesehen? Was kann überhaupt ein Fremder
sehen?
Ich denke immer: Wenn ein
Berliner die Schilderung eines Amerikaners über seine Stadt liest, dann ist er
amüsiert, gekränkt, geschmeichelt — aber auch ein bißchen unbefriedigt. Der
Midi-Mann, der dieses Buch vielleicht in die Finger bekommt, der Pariser, dem
ich zeige, was ich aus seiner Stadt nach Hause berichte, sie sagen bestenfalls:
«Es sind keine groben Fehler in Ihrer Arbeit. So ungefähr sieht er aus.» Aber —
aber es ist nicht das. («Ce n’est pas ça» ist ein sehr guter
französischer Ausdruck.) Es fehlt für den einheimischen Leser irgendetwas, er
kennt das doch anders; es ist eben der Fremde, der das geschrieben hat, einer,
der ‹Sie› zu Paris sagt.
Der Engländer fährt durch
Driesen an der Drüse und sieht, daß es ein kleines Amtsgericht hat, und schreibt
sich das auf. Aber von dem Antrittsbesuch des Referendars, der da seine erste
Station abmacht, von der einmaligen Wintergesellschaft bei Amtsrichters, vom
Stammtisch und dem Knatsch
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