Ein Pyrenäenbuch
mit
wollüstigen Tänzerinnen, aber das liegt weit, weit dahinten... bis nach Ozeron
dringt das gar nicht, hier herrscht eitel Herzenseinfalt. Und wenn einmal von
jenen anderen Dingen der wilden Welt die Rede ist, dann mit einer so
geschickt-linkischen Unbeholfenheit, etwa wie die Kindersprache einer
verheirateten Frau, die sich zur Abwechslung ein bißchen niedlich machen
möchte, hasche mich, ich bin der Frühling... Selbst der Böse ist noch lackiert
und eigentlich gar kein Böser. Dieses Buch ist stellenweise nicht mit Zucker, sondern
mit Sacharin bestreut.
Aber die französische Provinz
an den Pyrenäen ist doch nett. Wenn man abends ankommt, verhüllt nur die
wohltätige Dunkelheit die Masse, die da auf dem Marktplatz steht, und sie steht
immer da. Das Kriegerdenkmal. Die französischen Kriegerdenkmäler sind nicht
weniger schauerlich als die unsern — aber nicht so aggressiv. Oft tragen sie
einfach auf einem schlichten Obelisk nur die Namen der Gefallenen... mir wurde
jedesmal heiß, wenn ich das las; welche Listen in den kleinsten Orten! was hat
dieses Land gelitten! Wenn sie mehr als das aufgerichtet haben, dann sind sie
sentimental und rührend empfindsam. In Mauleon zum Beispiel steht so eine
Gedenktafel — und da ist gleich der ergriffne Beschauer mitgemeißelt worden:
ein alter Bauer mit einem Kind an der Hand, die sich dem Denkmal grade nähern.
Man schämt sich zu lächeln — aber man muß doch. Meistens freilich ragt,
besonders vor Kirchen, irgendein Soldat auf, fix und fertig aus der Fabrik,
derselbe mit Friedenspalme 2500 Francs, Fracht zu Lasten des Bestellers.
Es sind freundliche Städtchen,
und man ist gern in ihnen. Liegen sie weit entfernt vom Brausen der Welt? Aber
das ergreift sie ja mit. Wissen sie das? Nein, die meisten Menschen wissen das
nicht. Das Neue ist da. Es hat sich nur noch nicht herumgesprochen. So hat das
Trotzki formuliert: «Das Alltagsleben setzt sich zusammen aus der angesammelten
spontanen Erfahrung der Menschen, es verändert sich ebenso spontan unter der
Wirkung von Stößen, die von der Technik ausgehen oder von gelegentlichen Stößen
seitens des revolutionären Kampfes, und» — hier sitzt es — «spiegelt in Summa
viel mehr die Vergangenheit der menschlichen Gesellschaft als ihre Gegenwart
wider.» Und daher wirken diese kleinen Städtchen so idyllisch.
Die Republik, hat ein witziger
Franzose gesagt, war nie so schön wie unter dem Kaiserreich.
Paris ist nie so schön wie in
der französischen Provinz.
Abschied von den Pyrenäen
Das ist mein Abschied von den
Pyrenäen:
Aus Perpignan fährt die Bahn
nach der spanischen Grenze — bis Cébère. Da kommt das tiefe Tunneltor, drüben,
hinter den Bergkuppen liegt Spanien. Hier stoßen die Pyrenäen an die See.
Schiffer fahren mich auf dem
Meer spazieren, wir führen ernste Gespräche und unterhalten uns über die teuren
Bodenpreise in Cébère, wo alle Welt Grenzhandel treibt und alle Welt Geld
verdient. Und davon reden wir, daß da im Norden Banyuls liegt, wo neulich
abends das Kutterboot gekentert ist.
Da fahren wir nun in eine
Grotte am Wasser; es ist eine kleine, kümmerliche Höhlung im Stein, das Boot
schaukelt zwischen den Felswänden. Hinten brummt dumpf das Wasser — wenn es im
Fels rollt, hört es sich an, als ob er einstürzen wollte.
Und mit meinen Händen befühle
ich noch einmal, zum letzten Mal, den nassen Stein, den Berg in den Pyrenäen.
Ich sehe durch die Erde bis zum andern Ende, bis zum Ozean, nach Hendaye und
Bayonne. Höhlen liegen dazwischen — unten in Betharram steht, fünfzig Meter
tiefer unter der Erde, ein Grenzstein mit zwei Tafeln:
Basses-Pyrénées / Hautes-Pyrénées
Es ist die Departementsgrenze.
Ordnung muß sein.
Wann wieder, Berge —?
Die Fischer stoßen ab, sie
rudern noch ein bißchen um das Kap herum, in die offene See... Und dann sind
wir in dem kleinen Häfchen von Cebere. Oben laufen die Zollbeamten auf dem
Bahnsteig auf und ab und befühlen die Koffer, und die Gendarmen prüfen die
Pässe und tun recht geschäftig und staatserhaltend. Der Zug pustet Rauch aus.
Da verschwinden die Berge im
dunstigen Blau, längs der Eisenbahn werden sie immer niedriger, jetzt sind wir
wohl schon in der platten, unendlich weiten Ebene. Sieh — eine Station!
Palau-del-Vidre. Und die Höhenzahl: 22 m 706 mm über dem Meeresspiegel.
Es ist aus.
Erlöst vom Gebirge — erlöst vom
Steigen und Klettern.
In meinem Herzen liegt eine
kleine Flocke, eben
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