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Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
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mit dem Apotheker ahnt er nichts. Und wenn man es
ihm zeigte, verstände er‘s nicht. Und wenn er‘s verstände, könnte er‘s nicht
richtig wiedergeben. Und gäbe er‘s richtig wieder, dann faßten es seine Leser
nicht. Weil es fremd ist, vom andern Ufer, und weil sie unter der abweichenden
Form das Gemeinsame nicht wiedererkennen. Berliner Weißbier ist nicht
exportfähig.
    Ich habe immer Furcht, daß mich
ein Baske, ein Katalane, ein französischer Unterpräfekt eines Tages auf der
Straße anhalten wird, sich meine Notizen geben läßt, sie liest und dann
spricht: «Mensch! Was weißt denn du —?»
    Ist einer eine langweilige
Type, dann nimmt er alle Tatsachen korrekt auf und darf schreiben: ‹Reise durch
die Pyrenäen›. Jeder kann den Wittenbergplatz fotografieren, damit hat er alles
gesagt und nichts.
    Ist einer ein Kerl, dann steht
er sich selbst im Wege, bei allen Schilderungen, und wenn er fertig ist, darf
er nicht sagen: ‹Reise durch die Pyrenäen›. Er müßte sagen: ‹Reise durch mich
selbst›.
     
     

Das Fort
     
    Von Bourg-Madame nach
Villefranche-de-Conflent führt eine Aussichtsbahn erster Ordnung.
    Villefranche ist von alters her
befestigt und hat‘s schwer, sich auszudehnen; das Tal ist an dieser Stelle sehr
schmal. Oben, hundertachtzig Meter über der Stadt, liegt das Fort.
    Vauban, der Baumeister Ludwigs
des Vierzehnten, hat es verstärkt, und es ginge mich ja weiter nichts an, wenn
da oben nicht deutsche Gefangene gesessen und einen Fluchtversuch gemacht
hätten, von dem das Land heute noch weiß, und der nur einem geglückt ist. Das
wäre anzusehn.
    Man kann in Serpentinen nach
oben steigen, aber weil die Dämmerung schon da war, schlug die Pförtnerstochter
vor, innen hinaufzusteigen. Innen? sagte ich. Ja, es führten tausend Stufen
hinauf, das Fort ist mit der Stadt im Fels durch eine Treppe verbunden. Ich
rechnete rasch nach. Tausend Stufen: das waren gut und gern acht Miethäuser vom
Keller bis zum Boden — hm. Nun, wenn es keinen Fahrstuhl gäbe... Nein, einen
Fahrstuhl gäbe es nicht.
    Das Mädchen schloß unten die
große Bohlentür auf, noch eine Tür, und dann stiegen wir in einem hohlen Gang
kerzenbeleuchtet auf Treppen nach oben. Das war eine massiv gebaute Sache, ich
sah keinen abgebröckelten Stein. Mit den damaligen Kanonen war die
unterirdische Verbindung unerreichbar. Wenn wir pausierten, gingen meine
Schulterblätter auf und nieder, und um zwei Pfund leichter kam ich oben an.
    Da sperrte die nächste Tür. Die
Pförtnerstochter stemmte sich dagegen, ich half ihr... nichts. Etwa drei Meter
über dein Boden stand ein Fenster auf. «Ich werde hinaufklettern!» sagte die
Pförtnerstochter. Sie stellte also eine alte Tür gegen die Mauer, kletterte und
eskaladierte die Wand hoch. Ich stand dick und dumm daneben. (Edschmid wäre mit
der Riesenwelle nach oben geflogen, Ewers hätte der Dame ein Kind verursacht,
und Bonsels hätte in ihrer Seele geblättert.) Ich stand also daneben. Sie kam
hinauf, schwang sich durch das Fenster, ich hörte einen dumpfen Sprung, dann
öffnete sie die Pforte. Welch ein Mädchen —!
    Da waren wir nun im leeren
Fort. Das Fort ist eine kleine Stadt für sich, mit Kasernen und
Wirtschaftsgebäuden und Wachthäuschen und Türmen. Und da hatten die Deutschen
gelegen.
    Am 9. Oktober 1916 lösten sie
oben die Alarmkanonen. Zwölf Gefangene waren entflohen. Sie hatten unter der
Latrine einen Gang ins Freie gegraben, das war eine monatelange Arbeit gewesen,
man kann die Stelle noch sehen. Dann hatten sie sich gegen sechs Uhr abends an
einem Strick aus Bettüchern am Felsen heruntergelassen, ein paar Meter, nun
standen sie auf dem Weg. Und von da waren sie im Dunkel heruntergeklettert.
Einer ging die Bahnschienen entlang, den fingen sie gleich. Die andern wurden
in den Bergen gefunden, und nur ein einziger, erzählte die Pförtnerstochter,
sei über die Grenze entkommen. Was wäre, wenn ich ihr jetzt ganz still sagte:
«Ja, Fräulein. Das war ich»? Aber ich war es nicht. Die elf andern kamen dann
in die Festung Cette.
    Ich sehe die Zimmer, in denen
die Deutschen gewohnt haben; an einer Tür steht noch ein Zettel: Leutnant
Kieffer. Und das hier waren ihre Gemüsebeete, sie haben auch Kaninchen gehabt.
Was war das für ein Gefangenenlager?
    Es war ein
Offizier-Gefangenenlager. Und nun ist meine Neugier fast ganz verglommen. Du
lieber Gott: sie hatten ihre Ordonnanzen, die gingen in Zivil zur Stadt und
kauften für sie ein, sie hatten alle möglichen

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