Ein Regenschirm furr diesen Tag
ob ich hier sein möchte. Ich stelle es mir schön vor, wenn ich, sagen wir: heute Nachmittag diese Genehmigung erteilen könnte. Dabei spielt keine Rolle, daß ich gar nicht weiß, wer es eigentlich sein soll, der diese Genehmigung bei mir einholt.
Außer der Motorradfahrerin sehe ich im Augenblick einen Sanitäter in einer weißroten Plastikjacke und einen Wachmann. Er trägt eine gutgepflegte Phantasie-Uniform und steht neben dem Eingang einer Bank. Er schaut die Vorübergehenden an wie Leute, von denen eine Gefahr ausgeht. Es stört ihn offenbar nicht, daß man sich über ihn keine Gedanken macht. Der Sanitäter und der Wachmann sehen aus wie Menschen, die inzwischen ganz billig geworden sind. Wenn jemand käme und wollte zum Beispiel den Sanitäter kaufen, dann müßte er, glaube ich, höchstens fünf Mark bezahlen. Auch die Motorradfahrerin ist ganz billig, ich übrigens ebenfalls, wegen der fehlenden Genehmigung. Ein etwa zwölfjähriger Junge setzt sich auf den Rand des Stadtbrunnens. Er hat ein kleines Segelboot dabei, das er bedachtsam auf das Wasser setzt. Die Fontäne ist heute niedrig eingestellt, so daß die Wasseroberfläche sich kaum bewegt. Es dauert nicht lange, dann greift ein leichter Wind in die beiden Segel des Schiffs und treibt es langsam über das Becken. Ich setze mich ungefähr dort auf den Brunnenrand, wo das Segelboot vermutlich ankommen wird. Wenn das Schiff gut an der Fontäne vorbeischwimmt und der Wind nicht erlahmt, wird das Boot für die Überquerung nur wenige Minuten brauchen. Der Junge geht langsam um das Becken herum und läßt sein Boot nicht aus den Augen. Die jungen Frauen, die ebenfalls auf dem Brunnenrand sitzen und sich unterhalten, beachtet er nicht. Auch für die Frauen ist der Junge nicht interessant. Ich schaue auf das Boot wie jemand, der sich von seiner Ankunft viel verspricht. Einzelne Worte der Frauen werden vom Wind zu mir herübergetragen. Nachts …, sagt die Frau links, nachts … frage ich mich oft … wenn ich nicht schlafen kann … Dann verstehe ich nichts mehr. Eben kommt das kleine Segelboot auf meiner Seite des Beckens an. Der Junge greift freudig ins Wasser und hebt sein Schiff heraus und trägt es fort, unterm Arm, wie ein lebendes Tier, das er niemals wieder hergeben wird.
Aus der Grenadierstraße kommt Susanne Bleuler hervor. Hoffentlich sieht sie mich nicht. Ich kenne Susanne seit Kindertagen, und noch heute vergeht kaum eine Woche, in der wir uns nicht treffen. Ich weiß schon lange nicht mehr, was ich zu ihr sagen soll. Die Geschichte, die es einmal zwischen uns gab, ist in hundert Unschlüssigkeiten zerfallen. Susanne Bleuler arbeitet heute als Empfangsdame in einem großen Anwaltsbüro. Sie ist unzufrieden mit dieser Beschäftigung, aber sie findet nichts Besseres. Eigentlich hält sich Susanne für eine Schauspielerin und möchte immer noch Margerita Mendoza genannt werden. Tatsächlich hatte sie, als sie jung war, eine Schauspielschule besucht und danach zwei oder drei Engagements an kleinen Theatern bekommen. Das liegt etwa fünfundzwanzig Jahre zurück. Ich selbst habe Susanne nie auf einer Bühne gesehen. Deswegen kann ich nicht beurteilen, ob sie eine gute, eine schlechte, eine mittelmäßige oder eine unglückliche Schauspielerin ist oder war. Ich darf sie nicht Margerita Mendoza nennen, weil dieser Name sie an ihre mißratene Karriere erinnert. Ich darf aber auch nicht Susanne Bleuler zu ihr sagen, weil ihr richtiger Name sie an das unbedarfte Wünschen ihrer Jugend erinnert. Beziehungsweise, es ist komplizierter. In ihrem Innern, fürchte ich, hält sie ihr Scheitern für ungerecht. Sie spricht mit höchster Verachtung von den »Theaterkreisen«, sie spricht, als gebe es viele Menschen, die sich an sie als Schauspielerin erinnern und sie auf der Bühne wiedersehen wollen. Jetzt geht sie weiter, vermutlich direkt in das Anwaltsbüro. Sie schaut kaum auf, vermutlich spricht sie einen Rollentext, von dem sie vergessen hat, daß sie ihn nicht mehr brauchen wird. Oben, am Himmel, entdecke ich ein Segelflugzeug. Still, weiß und langsam gleitet es dahin, große Kreise ziehend im Blau des Firmaments. In mir hat Susanne Bleuler jemand, der die Echtheit ihrer Wünsche verbürgen kann, weil mir Susanne schon als Zwölfjährige während des Schlittenfahrens (ich saß hinter ihr auf dem Zweisitzer) gestanden hat, daß sie Schauspielerin werden wird und sonst nichts. Bei diesen Schlittenfahrten ist es mir zum ersten Mal passiert, daß ich die
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