Ein Regenschirm furr diesen Tag
beuge ich damit das Leben selbst. Es entsteht zwischen Susannes Beinen die Hoffnung, daß ich das Leben eines Tages werde genehmigen können, wenn ich mich oft genug vor ihm verbeugt haben werde. Am Ende soll nicht mehr unterscheidbar sein, ob ich mich vor dem Leben verbeuge oder dieses selbst gebeugt habe. Dann würde endlich meine unglaubliche Langmut den Sieg davontragen. Offenbar habe ich Erfolg mit meiner Verbeugungsidee. Himmelsbach verschwindet aus meinen Gedanken, ich rede nicht mehr an ihn hin. Vielleicht ist es auch der Brotgeruch von Susannes Erregung, der mein Geschlecht wieder fest werden läßt. Ich stelle mich auf und schiebe Susannes Körper etwas mehr in die Mitte des Bettes. Sie hält diesmal still, so daß ich ohne Komplikationen in sie eindringen kann. Das Frohlocken kurz nach einem drohenden Scheitern ist das Stärkste. Meine Stöße sind wie vollendete Verbeugungen, jetzt auch vor der Liebe. Susanne fiept jetzt wie ein kleines Tier. Es ist, als würde sie nie wieder richtige Worte sagen wollen. Dabei sagt sie schon zwei Minuten später, daß ich aufpassen muß.
Was soll ich tun, frage ich, muß ich weggehen?
Bleib, solange du kannst, dann mach es mir auf den Bauch.
Die Bitte erregt meine Vorstellungen, so daß ich den Beischlaf nicht mehr lange dehnen kann. Susanne dreht das Gesicht zur Seite und streckt die Arme von sich. Zum Glück gehöre ich nicht zu den Männern, denen der Same ohne innere Ankündigung entwischt. Mein Körpergefühl kann die Augenblicke ausmachen, wann sich ein Samenschub bildet und wenig später löst. Als es soweit ist, trenne ich mich von Susanne und beuge mich dann rasch über sie, der Samen ergießt sich auf ihren Bauch. Susanne seufzt und schluchzt und hilft mir, von ihr herunterzukommen. Wenig später beginnt sie, sich mit der Hand den Samen auf dem Bauch zu verstreichen. Ich schaue eine Weile zu und will etwas fragen, aber dann fällt mir ein, daß man eine still gewordene Frau besser nicht fragt, was sie gerade tut.
10
Tagelang habe ich überlegt, ob ich meiner Verärgerung nachgeben und die Arbeit als Schuhtester aufgeben soll. Gestern abend erst habe ich beschlossen, den Job vorerst zu behalten, trotz der schlechter gewordenen Bezahlung. Ich sitze im Zimmer und tippe die Testberichte für die Schuhe, die ich zuletzt von Habedank bekommen habe. Natürlich habe ich schon früher immer mal wieder nachlässig gearbeitet, aber heute geschieht es zum ersten Mal, daß ich die Testberichte komplett erfinde. Ich werde in Zukunft nur noch phantasierte Berichte abliefern und die Schuhe zum Ausgleich für den Honorarausfall laufend auf dem Flohmarkt verkaufen. Seit Tagen regnet es. Ich sitze im vorderen Zimmer bei geöffnetem Fenster. Ich schätze den Geruch, der nach langem Regen aus der Tiefe der Stadt aufsteigt. Es ist ein Gemisch aus Mörtel, Schlamm, Schimmel, Urin, Staub, Moor, Rost. Dann und wann unterbreche ich die Arbeit, gehe ein bißchen durch die Wohnung und betrachte die Leute in den Häusern gegenüber. Auch sie betrachten mich, wir fliehen nicht voreinander, manchmal lächeln wir uns kurz an, vielleicht hat uns der Regen milde gemacht. Am eindrucksvollsten ist im Augenblick eine etwa sechzigjährige Frau, die sorgsam den Dreck und den Staub auf ihrem Balkon zu einem Häufchen zusammenkehrt, das Häufchen dann aber liegenläßt und es zuweilen von ihrer Wohnung aus betrachtet. Von mir aus müßte es keine gewichtigeren Ereignisse geben. Wind kommt auf und verweht das von der Frau zusammengekehrte Häufchen. Die Frau beobachtet die Vernichtung ihrer Arbeit, geht aber nicht gegen sie vor. Am dritten Regentag ruft Frau Balkhausen an. Ich bin am Telefon eine Weile wortkarg, fast verdutzt. Genaugenommen weiß ich nicht recht, was mich mit Frau Balkhausen verbindet, was ich offenbar nicht völlig verheimlichen kann. Prompt überfällt mich mein häufigstes Telefongefühl: Daß ich mich auf das Eintreffen einer schlimmen Nachricht vorbereiten muß, aber ich komme mit den Vorbereitungen zu spät und muß die schlimme Nachricht ohne jeden Schutz annehmen. Dabei kriegt Frau Balkhausen höchstens die Karikatur einer schlimmen Nachricht zustande. Sie gehört zu den Menschen, die sich ohne mein Zutun mit mir unterhalten können.
Drei Dinge sind mir gerade kaputtgegangen, sagt sie; meine Badezimmerlampe ist hin, eine Vase ist mir heruntergefallen, und die Naht meiner blauen Hose ist gerissen!
Frau Balkhausen lacht, ich schweige, beziehungsweise ich bringe einen
Weitere Kostenlose Bücher