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Ein Regenschirm furr diesen Tag

Ein Regenschirm furr diesen Tag

Titel: Ein Regenschirm furr diesen Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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Krebs und Eierstock und Pipapo. In meinem Nachtschränkchen liegt eine halbe Tafel Schokolade, und wenn ich zuviel rede, dann mußt du mir ein kleines Stück Schokolade in den Mund schieben und meinen Kopf sanft in die Kissen drücken. Dann werde ich mit langsam im Mund zerfließender Schokolade wieder einschlafen können.
    Ich übernehme den Auftrag, sage ich.
    Erst in ihrem Schlafzimmer fragt mich Susanne, ob mir ihr Kleid gefällt. Sie trägt eine stilisierte Fliegermontur aus hellgrauer, leichter Naturfaser mit quer aufgesetzten Reißverschlüssen, die den ganzen Abend halb geöffnet sind. Darunter leuchtet eine zitronengelbe Bluse, in deren Ausschnitt eine Halskette mit kindlich kleinen Perlen sichtbar ist. Unterhalb ihrer Augen hatte Susanne ein wenig Goldstaub aufgetragen, den sie sich jetzt abwischt. Auch die pyramidenförmigen Ohrclips entfernt sie.
    Ich bin ratlos, sage ich wahrheitsgemäß; damit meine Antwort nicht allzu enttäuschend klingt, setze ich hinzu: Im allgemeinen überschätzen Frauen die Wirkung ihrer Kleider, jedenfalls auf die Männer. Den meisten Männern ist es nicht wichtig, wie Frauen angezogen sind.
    Gehörst du zu diesen Männern?
    Ich fürchte.
    Aus ihrem Nachtschränkchen holt sie eine halbe Tafel Schokolade heraus und legt sie auf die andere Seite des Bettes. Außerdem eine Schachtel mit Zündhölzern. Sie entzündet nacheinander sechs Kerzen, die in einem hohen Kerzenständer auf einer Kommode stehen.
    Ich kriege manchmal von der Inhaberin einer Boutique, in der ich oft einkaufe, eine Bluse oder ein Kleid geschenkt, das die Inhaberin zwei- oder dreimal selbst getragen hat und dann nicht mehr verkaufen will.
    Ahh so, mache ich zerstreut.
    Ich sehe, du interessierst dich wirklich nicht für Kleidung.
    Muß ich mich dafür entschuldigen?
    Susanne lacht und stellt den Leuchter mit den Kerzen noch etwas weiter weg. Auf dem Grund einer Obstschale, die zur Hälfte mit Orangen und Äpfeln gefüllt ist, sehe ich ein Röllchen mit Kopfschmerztabletten liegen und denke nur: Ja, klar, natürlich.
    Glaub nicht, daß ich verkitscht bin und bei Kerzenschein geliebt werden möchte, sagt Susanne; der Grund ist einfacher: Ich möchte nicht zu genau angeschaut werden.
    Ach Gott, antworte ich, auch dieses Problem wird von den Frauen überschätzt.
    Ich glaube, du willst mich nur beruhigen, sagt Susanne.
    Mich selber auch.
    Im Kern ist Susanne vermutlich melancholisch, deswegen können wir zusammen sprechen und verstehen uns einigermaßen. Obwohl mir bisher nicht klargeworden ist, ob Susanne von ihrer Melancholie weiß. Die Materialkulte um sie herum (zuviel Klamotten, zuviel Unterhaltung, zuviel Sinnsuche, zuviel Dekoration) deuten eher auf ein Nichtwissen hin.
    Du mußt dich trauen, langweilig zu sein, sage ich.
    Warum?
    Es ist nicht möglich, die Langeweile der Liebe auf Dauer zu leugnen.
    Das kann ich mir nicht leisten, sagt Susanne.
    Was hindert dich?
    Ich kämpfe sowieso schon mein halbes Leben lang gegen die Vorstellung, daß ich gar nicht da bin.
    Die langweiligen Frauen bringen es am weitesten; ihre Liebe ist dauerhaft und tief, sage ich.
    Susanne legt zwei Orangen und einen Apfel neben den Kerzenständer.
    Willst du eine Orange essen? frage ich.
    Nein, ich will nur deutlich das Obst sehen, wenn ich im Bett liege, sonst beschleicht mich nach einer Weile das Gefühl, ich liege in einer Totenhalle.
    Du denkst zuviel, sage ich.
    Klar, sagt Susanne, du etwa nicht?
    Wir lachen und küssen uns. Dann setzt sie sich mit nackten Beinen auf den Bettrand und fragt: Kannst du mich einmal sehr kritisch anschauen?
    Ich setze mich auf den einzigen Stuhl und betrachte Susanne. Ein bißchen fürchte ich mich davor, daß für eine Frau wie Susanne auch die Sexualität schick sein muß, genau wie das Essen und die Restaurants und die Kleidung und das Wochenende.
    Und? fragt Susanne.
    Was und?
    Fällt dir irgend etwas auf?
    Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst.
    Dann schau mich genau an.
    Ich schaue Susanne so präzise und untersuchend an, wie es mir kurz nach dreiundzwanzig Uhr möglich ist.
    Siehst du nicht, sagt Susanne, daß mir unterhalb der Knie noch ein paar weitere Knie nachgewachsen sind?
    Ich schweige und betrachte Susannes Knie.
    Am Anfang waren es nur undeutliche, knollenartige Erhebungen, sagt Susanne, ich habe geglaubt, die gehen nach einiger Zeit wieder weg. Von wegen! Sie wurden größer und runden sich immer mehr, und jetzt sieht es aus, als hätte ich an jedem Bein zwei Knie. Ich habe Beine

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