Ein reines Gewissen
Fernsehen schwierig machte, es sei denn, man lag im Bett. Als er einmal zu Besuch gekommen war, lief gerade ein Pferderennen, dabei hatte sein Vater sich nie dafür interessiert - wieder das Personal. Die Tür zum Badezimmer war angelehnt. Fox schob sie auf und warf einen Blick hinein. Keine Badewanne, aber eine Duschkabine mit einem Klappstuhl. Es roch nach medizinischem Shampoo, dasselbe Zeug, das seine Mum für ihn und Jude benutzt hatte, als sie Kinder waren.
»Es ist nett hier, nicht wahr?« Die Frage stellte er laut, aber nicht so, dass sein Vater sie hören konnte. Genau das hatte er jedes Mal gefragt, seit sie Dads Umzug aus der Doppelhaushälfte in Morningside bewerkstelligt hatten. Anfangs war es eine rhetorische Frage gewesen; inzwischen konnte er es nicht mehr so genau sagen. Sein Elternhaus hatte ausgeräumt werden müssen. Einige der Möbel standen in Fox' Garage. Auf seinem Speicher stapelten sich Schachteln mit Fotos und anderen Erinnerungsgegenständen, von denen ihm die meisten wenig oder nichts bedeuteten. Eine Zeit lang hatte er bei seinen Besuchen welche mitgebracht, aber es hatte seinen Vater aufgeregt, wenn er sie nicht zuordnen konnte. Namen, von denen er fand, er hätte sie wissen müssen, waren aus seinem Gedächtnis gelöscht. Gegenstände hatten ihre Bedeutung verloren. Dann füllten sich die Augen des alten Herrn mit Tränen.
»Möchtest du irgendwas machen?«, fragte Fox und setzte sich wieder auf den Bettrand.
»Eigentlich nicht.«
»Fernsehen? Vielleicht eine Tasse Tee?« »Mir geht's gut.« Unvermittelt richtete Mitch Fox den Blick auf seinen Sohn. »Dir auch, oder?« »Mir ging's noch nie besser.« »Wie läuft's bei der Arbeit?«
»Ich werde verehrt und geachtet von allen, die mich kennen.« »Eine Freundin?« »Zur Zeit nicht.«
»Wie lange seid ihr jetzt schon geschieden, du und ...?«Wieder zogen die Augenbrauen sich zusammen. »Ihr Name liegt mir auf der ...«
»Elaine - und sie ist schon lange passe, Dad.«
Mitch Fox nickte und wurde für einen Moment nachdenklich. »Du musst dich vorsehen, hörst du.«
»Ich weiß.«
»Maschinen, denen ist nicht zu trauen ...« »Ich arbeite nicht mit Maschinen, Dad.«
»Trotzdem ...«
Wieder gab Malcolm Fox vor, den Nachrichteneingang auf seinem Handy zu prüfen. »Ich kann schon auf mich aufpassen«, versicherte er seinem Vater. »Mach dir keine Sorgen.«
»Sag Jude, sie soll mich mal wieder besuchen«, bat Mitch Fox. »Sie muss auf ihrer Treppe vorsichtiger sein ...«
Malcolm Fox blickte von seinem Handy auf. »Ich werd's ihr ausrichten«, sagte er.
»Was hat Dad mir da von einer Treppe erzählt?«
Fox stand draußen, neben seinem Auto. Es war ein silbergrauer Volvo S60 mit viertausendachthundert Kilometern auf dem Tacho. Er hatte es ein halbes Dutzend Mal klingeln lassen. Gerade wollte er auflegen, als seine Schwester doch noch abhob.
»Du hast Mitch besucht?«, mutmaßte sie.
»Er hat nach dir gefragt.«
»Ich war letzte Woche da.«
»Nachdem du auf der Treppe gestürzt warst?«
»Mir geht's gut. Nur ein paar Beulen und blaue Flecke.«
»Könnten die blauen Flecke sich im Gesicht befinden, Jude?«
»Du klingst wie ein Polizist, Malcolm. Ich habe ein paar Sachen runtergebracht und bin hingefallen.«
Fox schwieg einen Moment, während er den Verkehr beobachtete. »Und wie geht's sonst so?«
»Tut mir leid, dass wir uns über Weihnachten nicht sehen konnten. Habe ich mich für die Blumen bedankt?«
»Du hast mir an Silvester eine SMS geschickt und mir ein >Guter Meter Jahr< gewünscht.«
»Ich krieg noch die Krise mit diesem Handy - die Tasten sind viel zu klein.«
»Vielleicht war da Alkohol im Spiel.«
»Das vielleicht auch. Bist du immer noch trocken?«
»Seit fünf Jahren.«
»Kein Grund zur Überheblichkeit. Wie ging es Mitch?«
Fox fand, dass er jetzt lange genug an der frischen Luft gewesen war, er machte die Autotür auf und stieg ein. »Ich weiß nicht, ob er genug isst.«
»Es kann ja nicht jeder deinen Appetit haben.«
»Meinst du, ich sollte einen Arzt bitten, sich ihn mal anzuschauen?«
»Würde er es dir danken?«
Fox hatte eine Tüte Pfefferminzbonbons vom Beifahrersitz genommen und steckte sich eins in den Mund. »Wir sollten uns mal abends treffen.«
»Klar.«
»Nur du und ich, meine ich.« Er lauschte auf das Schweigen seiner Schwester, gespannt, ob sie ihren Partner erwähnen würde. Wenn sie es tat, könnte er das Gespräch vielleicht endlich in die Richtung lenken, die sie bisher
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