Ein Rest von Schuld - Rankin, I: Rest von Schuld - Exit Music
im Gefängnis oder, vollgepumpt mit Sedativa, in der Geschlossenen. Gates hatte es selbst gesagt: »Da war blinde Wut am Werk.«
»Eine oder mehrere«, hatte Curt hinzugefügt.
Klar, sie konnten es durchaus mit mehreren Tätern zu tun haben. Man hatte dem Opfer mit ausreichend Kraft auf den Hinterkopf geschlagen, um den Schädel zu zertrümmern. Hammer, Stahlrute oder Baseballschläger – oder sonst etwas in der Richtung. Rebus vermutete, dass das der erste Treffer gewesen war. Das Opfer war buchstäblich gekeult worden, so dass es für den oder die Angreifer keine Gefahr mehr darstellte. Aber warum hatte man das Gesicht dann derart traktiert? Wie Gates andeutete, hätte kein normaler Straßenräuber damit Zeit verplempert. Er hätte die Taschen geleert und wäre geflohen. Von einem Finger war ein Ring abgezogen worden, und eine Druckstelle am linken Handgelenk zeigte, dass das Opfer eine Armbanduhr getragen hatte. Eine schmale Einkerbung am Nacken sprach dafür, dass ihm die Halskette abgerissen worden war.
»Am Tatort nichts gefunden?«, hatte Curt gefragt, während er nach der Rippenschere griff.
Rebus hatte den Kopf geschüttelt.
Angenommen, das Opfer hatte Widerstand geleistet … vielleicht war jemandem eine Sicherung durchgebrannt. Oder es gab einen fremdenfeindlichen Hintergrund, sein Akzent hatte ihn verraten …?
»Der Verurteilte hat herzhaft gespeist«, hatte Gates nach Öffnung des Magens schließlich festgestellt. »Garnelencurry, wenn ich mich nicht irre, mit einem Hellen runtergespült. Und riechen Sie nicht einen leichten Hauch von Brandy oder Whisky, Dr. Curt?«
»Keine Frage.«
Und so war es weitergegangen. Siobhan hatte sich krampfhaft bemüht, nicht einzuschlafen, und Rebus hatte neben ihr gesessen und den Pathologen bei ihrer Arbeit zugeschaut.
Keine Abschürfungen an den Knöcheln oder Hautfetzen unter den Fingernägeln – nicht der geringste Hinweis darauf, dass das Opfer eine Chance gehabt hatte, sich zu wehren. Die Kleidung war Kaufhausware und würde ins kriminaltechnische Labor geschickt werden. Als das Blut abgewaschen war, sah das Gesicht schon eher wie das auf dem Gedichtband aus. Während eines von Siobhan Clarkes kurzen Nickerchen hatte Rebus ihr das Buch aus der Tasche gezogen und auf dem Vorsatzblatt eine Kurzbiografie Todorows gefunden. Geboren 1960 im Moskauer Vorort Schdanow, ehemaliger Literaturdozent, Träger zahlreicher Preise und Auszeichnungen,Verfasser von sechs Gedichtbänden für Erwachsene und einem für Kinder.
Jetzt in seinem Sessel am Fenster, versuchte Rebus sich an die Namen indischer Restaurants in der Nähe der King’s Stables Road zu erinnern. Morgen würde er im Telefonbuch nachsehen.
»Nein, John«, sagte er sich, »es ist schon morgen.«
Er hatte sich in der durchgehend geöffneten Tankstelle die Evening News besorgt, um die Schlagzeilen noch einmal überfliegen zu können. Der Marmion-Prozess wurde am Crown Court fortgesetzt, Schießerei in einem Pub in Gracemount, einer tot, einer, der von Glück reden konnte, dass er noch am Leben war. Der junge Sikh war mit ein paar Beulen und blauen Flecken davongekommen, aber das Haar war in seiner Religion heilig, und das mussten seine Angreifer gewusst – oder zumindest geahnt haben.
Und Jack Palance war tot. Rebus hatte keine Ahnung, wie er im wirklichen Leben gewesen war, aber in seinen Filmen hatte er immer harte Burschen gespielt. Rebus schenkte sich einen weiteren Highland Park ein und hob sein Glas.
»Auf die harten Männer«, sagte er und leerte es in einem Zug aus.
Siobhan Clarke erreichte das Ende der Liste von Restaurants im Telefonbuch. Sie hatte ein halbes Dutzend Möglichkeiten unterstrichen, aber infrage kam eigentlich jedes indische Restaurant – Edinburgh war eine kleine Großstadt, und man kam schnell überallhin. Aber sie würden mit den Lokalen in der nächsten Umgebung des Tatorts beginnen und sich dann nach außen vorarbeiten. Sie war mit ihrem Laptop online gegangen und hatte nach Todorow gegoogelt – es gab Tausende von Hits. Er hatte sogar einen eigenen Eintrag in der Wikipedia. Einige der Seiten, die sie fand, waren auf Russisch. Ein paar Artikel kamen aus den USA, wo der Dichter in etlichen Colleges auf dem Lehrplan stand. Es gab auch Rezensionen von Astapowo Blues, weshalb sie jetzt wusste, dass die Gedichte von russischen Autoren der Vergangenheit handelten, zugleich aber kritische Stellungnahmen zur aktuellen politischen Situation in Todorows Heimat darstellten –
Weitere Kostenlose Bücher