Ein Ring von Tiffany - Roman
ins Korn geworfen. Und inzwischen machte es die ehemalige Gastronomiestudentin wie die meisten New Yorker: Sie ließ sich etwas kommen oder aß außer Haus.
Sie stellte ihre Aufräumaktion für heute ein, warf sich auf ihr ungemachtes Bett und fing an, in dem Fotobuch zu blättern, das sie für Duncan zum dritten Kennenlerntag am Computer zusammengebastelt hatte. Es hatte sie viele Stunden gekostet, die besten Aufnahmen auszuwählen, sie auf die richtige Größe zu bringen und die roten Augen zu entfernen. Sie klickte und klickte mit der Maus, bis ihr die Finger kribbelten und die Hand schmerzte. Es sollte unbedingt perfekt werden. Manche Seiten waren als Collage gestaltet, auf anderen prangte nur eine einzelne, besonders gelungene Aufnahme. Das Bild, das sie für den Deckel ausgesucht hatte, war ihr absolutes Lieblingsfoto: ein Schnappschuss in Schwarzweiß, den irgendjemand beim Geburtstagsessen von Duncans Großvater im Le Cirque geschossen hatte. Am besten war Emmy von jenem Abend der überirdisch gute Kabeljau in der Sesamkruste in Erinnerung geblieben. Heute fiel ihr zum ersten Mal auf, wie beschützend sie die Arme um Duncans Schultern legte und wie strahlend sie ihn ansah, während er mit einem beherrschten Lächeln in die andere Richtung blickte. Für einen Experten in Körpersprache wäre dieses Bild eine Offenbarung gewesen! Genau wie die Reaktion übrigens, die sie von Duncan bekam, als sie ihm das Fotobuch an ihrem dritten Jahrestag beim Abendessen überreichte: eine »Begeisterung«, wie man sie eher bei einem Schal oder einem Paar Handschuhe erwartete (also bei dem Geschenk, das sie von ihm erhielt: Schal und Handschuhe im Set, im Originalkarton des Verpackungsservice). Ohne auch nur vorher die Karte mit ihren Liebesgrüßen eines Blickes zu würdigen,
geschweige denn zu lesen, riss Duncan das Papier und das Seidenband mit der maskulinen Note, die sie so liebevoll ausgesucht hatte, einfach herunter. Er dankte ihr mit einem Küsschen und blätterte mit seinem typisch verkniffenen Lächeln ein wenig darin herum, bis er auf dem Handy einen Anruf von seinem Chef erhielt. Er bat sie, das Fotobuch mit nach Hause zu nehmen, weil er noch einmal ins Büro musste und es nicht mitschleppen wollte. Danach stand es zwei Jahre lang in ihrem Wohnzimmer herum, und wenn es einmal, was nur selten vorkam, von einem Gast aufgeschlagen wurde, folgte unweigerlich die Bemerkung, was für ein attraktives Paar Duncan und Emmy doch abgaben.
Aus der hintersten Ecke ihrer L-förmigen Wohnung ertönte ein heiserer Schrei. Otis, den sie mitsamt seinem Käfig dorthin verbannt hatte, hakte den Schnabel um einen Gitterstab, rüttelte daran und krächzte: »Otis will raus. Otis will raus.«
Elf lange Jahre, und Otis war immer noch fit wie ein Turnschuh. Nachdem sie irgendwo gelesen hatte, dass afrikanische Graupapageien sechzig Jahre alt werden konnten, betete sie jeden Tag, dass es sich um einen Druckfehler gehandelt hatte. Sie hatte Otis nie besonders gemocht, schon damals nicht, als er noch Mark gehört hatte, dem ersten ihrer drei festen Freunde, aber seit er ihre Winzlingswohnung mit ihr teilte und sich - ohne jede Anleitung oder Ermutigung - einen unerfreulich großen Wortschatz angeeignet hatte, mit dem er sich in der dritten Person Singular fast ausnahmslos über seine eigenen Bedürfnisse, Ansprüche und Forderungen äußerte, mochte sie ihn noch viel weniger. Als Mark nach dem Ende des Studiums für drei Wochen nach Guatemala flog, um sein Spanisch aufzubessern, hatte sie sich zunächst strikt geweigert, den Vogel zu versorgen. Aber dann war sie doch wieder schwach geworden: zeit ihres Lebens die gleiche Geschichte. Aus den drei Wochen war ein Monat geworden, aus dem einen Monat drei, aus den drei Monaten ein Fulbright-Stipendium für einen Forschungsaufenthalt
zur Untersuchung der Folgen des Bürgerkriegs auf die guatemaltekischen Kinder. Inzwischen war Mark schon seit Ewigkeiten mit einer in Nicaragua geborenen und in Amerika ausgebildeten Mitarbeiterin des Friedenskorps verheiratet und lebte in Buenos Aires, aber Otis war ihr erhalten geblieben.
Emmy hakte das Käfigtürchen los und wartete darauf, dass Otis es aufstieß. Er hüpfte ungelenk auf ihren Arm und starrte ihr direkt in die Pupille. »Traube!«, kreischte er. Sie seufzte und zupfte ihm eine Weintraube ab. Eigentlich bevorzugte sie Obst, das man schälen oder vierteln konnte, aber Otis war nun mal auf Weintrauben fixiert. Er riss sie ihr aus den Fingern,
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