Ein Rückblick aus dem Jahr 2000
Geschlecht, und ihre Fähigkeit, die Männer zu beglücken, hat natürlich in demselben Maße zugenommen.“
„Ich würde es nicht für ausgeschlossen halten“, sag te ich, „daß die Mädchen bei Ihnen vom Heiraten abgehalten werden. Ihr Interesse für ihre Tätigkeit im Arbeitsheere und für die winkenden Auszeichnungen und Ehrenämter könnte dahin wirken.“
Doktor Leete lächelte. „Fürchten Sie das nicht, Herr West“, sagte er. „Der Schöpfer hat es fürsorglich so eingerichtet, daß wie immer sich auch die Neigungen der Männer und Frauen mit der Zeit verändern mögen, doch die Anziehung bestehen bleibt, die beide aufeinander ausüben. Ist der beste Beweis dafür nicht die Tatsache, daß man sogar in einem Zeitalter wie dem Ihrigen freite und sich freien ließ? Und doch muß damals der Kampf ums Dasein den Leuten nur wenig Zeit für andere Gedanken übriggelassen haben. Ja, die Zukunft war so unsicher, daß es ganz gewiß oft als verbrecherisches Wagnis erschien, Elternpflichten auf sich zu nehmen. Von der heutigen Liebe sagt einer unserer Schriftsteller, daß diese Leidenschaft den leeren Raum ausfülle, der in der Seele der Männer und Frauen durch die Beseitigung der Existenzsorgen entstanden sei. Diese Behauptung ist jedoch etwas übertrieben, das dürfen Sie glauben. Im übrigen sind Verheiratung und Ehe so weit davon entfernt, ein Hemmnis für die Berufstätigkeit der Frau zu sein, daß die höheren Ehrenstellen im weiblichen Arbeitsheere nur Frauen anvertraut werden, die sowohl Gattinnen als Mütter gewesen sind, da nur sie als vollwertige Vertreterinnen ihres Geschlechts gelten.“
„Erhalten die Frauen ebenso wie die Männer Kreditkarten?“
„Sicherlich.“
„Da die Frauen infolge ihrer Mutterpflichten ihre Arbeit häufig unterbrechen müssen, lautet wohl die Kreditkarte auf geringere Summen?“ fragte ich weiter.
„Auf geringere Summen!“ rief Doktor Leete aus. „O nein! Alle Glieder unserer Gesellschaft erhalten die gleichen Unterhaltsmittel. Diese Regel erleidet keine Ausnahme. Sollte aber wegen der von Ihnen angedeuteten Unterbrechung in der Berufstätigkeit der Frau ein Unterschied zwischen ihrem Einkommen und dem des Mannes gemacht werden, so müßte man den Kredit der Mütter vergrößern und nicht verkleinern. Können Sie sich einen Dienst denken, der einen größeren, berechtigteren Anspruch auf die Dankbarkeit der Nation hat, als das Gebären und Nähren ihrer Kinder? Nach unserer Ansicht macht sich niemand so um die Welt verdient wie gute Eltern. Die Erziehung der Kinder, die dereinst, wenn wir zu Staub zerfallen sind, die Welt bedeuten werden, ist die selbstloseste aller Aufgaben. Sie ist die einzige, die ohne jede Vergeltung bleibt, die Befriedigung natürlich nicht mitgerechnet, die unser Herz bei ihrer Erfüllung empfindet.“
„Was Sie mir gesagt haben, legt mir einen Schluß nahe. Nämlich daß die Frauen für ihren Unterhalt in keinerlei Weise von ihren Gatten abhängen.“
„Natürlich nicht“, versetzte Doktor Leete. „Und ebensowenig sind die Kinder von ihren Eltern abhängig, das heißt was ihren Unterhalt anbelangt, denn selbstverständlich bleiben sie mit ihnen durch die tausenderlei Liebesdienste der Pflege und Erziehung verbunden. Wenn das Kind herangewachsen ist, so wird es durch seine Arbeit das Gut der Allgemeinheit und nicht das der Eltern mehren, die vielleicht schon gestorben sind. Es ist deshalb nur recht und billig, daß es auch aus dem Nationalgut ernährt wird. Sie müssen nämlich wissen, daß die Abrechnung für den Unterhalt jeder Person, sei es Mann, Frau oder Kind, unmittelbar mit der Nation erfolgt und nie mit irgendwelcher Zwischenperson; nur die Eltern handeln selbstverständlich bis zu einem gewissen Grade als Vormünder ihrer Kinder. Sie sehen also, daß das Recht der einzelnen auf ihren Lebensunterhalt in ihrem Verhältnis zur Nation wurzelt. Es ist lediglich darin begründet, daß sie Glieder der Nation sind, und hat ganz und gar nichts mit ihren Beziehungen zu anderen Personen zu schaffen, die gleich ihnen Glieder der Nation sind. Daß jemand für seinen Lebensunterhalt von einem anderen abhängen sollte, würde im höchsten Grade das moralische Gefühl verletzen und von keiner vernünftigen Gesellschaftstheorie zu rechtfertigen sein. Was müßte bei einer solchen Abhängigkeit aus der persönlichen Würde und Freiheit werden? Ich weiß wohl, daß Sie sich im neunzehnten Jahrhundert frei nannten. Dieses Wort muß aber damals
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