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Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Titel: Ein Rückblick aus dem Jahr 2000 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Bellamy
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Kunstgenuß zu verschaffen, daß wir uns nicht einfallen lassen, unser Singen und Spielen überhaupt als Musik zu betrachten. Alle wirklich guten Sänger und Spieler stehen im Dienst der Nation, und wir übrigen verhalten uns meist still. Aber möchten Sie tatsächlich etwas Musik hören?“
    Ich versicherte Edith aufs neue, daß mir dies ein großes Vergnügen bereiten würde.
    „Bitte, kommen Sie dann mit mir in das Musikzimmer“, sagte sie. Ich folgte ihr in ein Gemach ohne Tapeten, Vorhänge und Portieren; die Wände hatten Holztäfelung, und der Fußboden war spiegelblankes Parkett. Ich war darauf gefaßt, ganz neue Arten von Instrumenten zu erblicken, allein ich konnte im Zimmer absolut nichts entdecken, was man selbst mit dem größten Aufwand von Einbildungskraft für dergleichen hätte halten können. Augenscheinlich amüsierte mein verdutztes Gesicht Edith höchlich.
    „Bitte, werfen Sie einen Blick auf das heutige Programm“, sagte sie, indem sie mir eine Karte reichte, „und sagen Sie mir, was Sie am liebsten hören möchten. Nur bitte ich zu beachten, daß es jetzt fünf Uhr ist.“
    Die Karte trug das Datum: „Den 12. September 2000“ und enthielt das größte Konzertprogramm, das mir je vor Augen gekommen war. Es war ebenso reichhaltig wie lang und bot eine schier endlos scheinende Reihe von Soli, Duetten und Quartetten für Vokal- und Instrumentalmusik, dazu viele Kompositionen für Orchester.
    Die riesige Liste verblüffte mich aufs äußerste. Da wies Ediths rosige Fingerspitze auf eine besondere Abteilung hin, die den Vermerk trug: „Fünf Uhr nachmittags.“ Es wurde mir nun klar, daß das ungewöhnliche Programm für den ganzen heutigen Tag galt und in vierundzwanzig Abteilungen zerfiel, die den Stunden entsprachen. Die Abteilung „Fünf Uhr nachmittags“ enthielt nur eine kleine Anzahl von Stücken, von denen ich eine Orgelkomposition anhören wollte.
    „Es freut mich, daß Sie die Orgel lieben“, sagte Edith zu mir, „ich kenne kein zweites Instrument, das so sehr jeder meiner Stimmungen zusagt.“
    Sie ließ mich auf einem bequemen Sessel Platz nehmen, ging nach der anderen Seite des Zimmers und – wie es mir schien – drückte hier nur auf einen oder zwei Knöpfe. Sofort ward das Gemach mit den erhabenen Klängen eines Orgelchors erfüllt – erfüllt und nicht durchbraust, denn durch irgendeine Vorrichtung war die Stärke der Töne genau der Größe des Raumes angepaßt. Mit angehaltenem Atem lauschte ich der Musik bis zu Ende. Ich hatte nicht im entferntesten erwartet, ein so herrliches Werk so vorzüglich vorgetragen zu hören.
    „Prachtvoll!“ rief ich aus, nachdem die letzte mächtige Tonwelle langsam verklungen war. „Ein Bach muß diese Orgel gespielt haben, aber wo befindet sie sich?“
    „Bitte, gedulden Sie sich noch einen Augenblick“, sagte Edith. „Ehe Sie weiterfragen, möchte ich gern, daß Sie noch diesen Walzer hören; ich finde ihn nämlich ganz allerliebst.“
    Während sie noch sprach, schwebten auch schon Geigentöne durch das Zimmer und schufen hier den Zauber einer Sommernacht.
    Nachdem der Walzer verklungen war, wendete sich Edith zu mir. „Die Musik, die Sie soeben gehört haben, ist durchaus nicht geheimnisvoll und märchenhaft. Nicht Feen und Elfen spielen sie, sondern gute, ehrliche und außerordentlich geschickte Menschenhände. Wie auf alles andere, so haben wir auch auf die Musik den Grundsatz übertragen, durch das Zusammenwirken der geeignetsten Kräfte mit Arbeitsersparnis das Höchste zu leisten. Die Stadt besitzt eine Anzahl von Musik sälen, deren Akustik den verschiedenen Arten der Mu sik genau angepaßt ist. Diese Säle sind durch Telephon {9} mit allen Häusern der Stadt verbunden, deren Bewohner einen unbedeutenden Betrag entrichten. Sie können überzeugt sein, daß es in ganz Boston niemand gibt, der nicht angeschlossen ist. Jeder Saal hat seinen Stab von Musikern, der so zahlreich ist, daß das Tagesprogramm der dort aufgeführten Werke volle vierundzwanzig Stunden ausfüllt, obgleich jeder Solist und jede Gruppe von Musikern nur bei wenigen Nummern mitwirken. Wenn Sie sich die Karte ansehen, so werden Sie bemerken, daß sie das Programm für vier Konzerte enthält. Jedes einzelne davon ist einer besonderen Musikgattung gewidmet und findet gleichzeitig mit den übrigen statt. Sie können jedes der vier Stücke hören, die gerade jetzt gespielt werden, sobald Sie auf den Knopf drücken, dessen Leitung Ihr Haus mit dem Musiksaal

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