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Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Titel: Ein Rückblick aus dem Jahr 2000 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Bellamy
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als vier Nationen bezeichnet werden könnten, denn die Unterschiede zwischen ihnen waren bei weitem größer als diejenigen, die unsere heutigen Nationen voneinander scheiden. Ich meine die Spaltung in Reiche und Arme, Gebildete und Ungebildete. Ich selbst war reich und obendrein gebildet und besaß folglich alle Vorbedingungen für das Glück, dessen sich die Schoßkinder des Geschicks in jener Zeit erfreuten. Ich lebte in Luxus und kümmerte mich nur um die Vergnügungen und Annehmlichkeiten des Lebens. Die Arbeit anderer gab mir die Mittel für meinen Unterhalt, ohne daß ich die geringste nützliche Tätigkeit dafür verrichtete. Meine Eltern und Großeltern hatten in derselben Weise gelebt, und ich nahm an, daß sich meine etwaigen Nachkommen einer ähnlichen Existenz erfreuen würden.
    „Aber wie konnte ich leben, ohne für die Welt ir gend etwas Nützliches zu leisten?“ wird der Leser fragen. „Warum sollte die Gesellschaft jemanden als Müßiggänger erhalten, der ganz gut nützliche Arbeit für sie leisten konnte?“ Die Antwort lautet, daß mein Urgroßvater eine Geldsumme ausgespeichert hatte, von der seine Nachkommen von da an lebten. Der Leser wird natürlich folgern, daß diese Summe sehr groß gewesen sein müsse. Andernfalls wäre sie doch durch die Unterhaltskosten von drei nichtstuenden Generationen aufgezehrt worden. Das war jedoch nicht der Fall. Die Summe war ursprünglich durchaus nicht groß gewe sen. Umgekehrt: nachdem sie drei Geschlechter in Müßiggang erhalten hatte, war sie viel größer geworden, als sie anfangs gewesen war. Das Geheimnis dieses Gebrauchs ohne Verbrauch, dieser Wärme ohne Verbrennung erscheint fast wie Zauberei. Es erklärt sich jedoch durch die findige Anwendung einer Kunst, die zum Glück gegenwärtig verlorengegangen ist, in der aber unsere Vorfahren eine hohe Meisterschaft erreicht hatten. Ich meine nämlich die Kunst, die Last des eigenen Unterhaltes den Schultern anderer aufzubürden. Wer es so weit gebracht hatte – und es so weit zu bringen, war das Ziel, nach dem alle strebten –, von dem hieß es, daß er von den Zinsen seines Kapitals lebe. Es würde uns zu lange aufhalten, wollten wir hier auseinandersetzen, auf welche Weise die alte Wirtschaftsordnung solches möglich machte. Soviel sei nur bemerkt, daß die Zinsen des Kapitals eine Art ständiger Steuern waren, die der Geldbesitzer von der Produktion der werktätigen Arbeiter erheben konnte. Diese Einrichtung erscheint unseren modernen Anschauungen ganz unnatürlich und unvernünftig. Man würde sich auch sehr in der Annahme täuschen, daß sie von unseren Vorfahren nie einer Kritik unterzogen worden wäre. Im Gegenteil! Von den ältesten Zeiten an hatten Gesetzgeber und Propheten danach getrachtet, den Zins abzuschaffen oder ihn wenigstens auf den niedrigsten Fuß herabzudrücken. Alle derartigen Bestrebungen waren jedoch gescheitert und hatten notwendigerweise scheitern müssen, solange die alte Gesellschaftsordnung weiterbestand. Zur Zeit, von der ich schreibe, nämlich zu Ende des neunzehnten Jahrhunderts, hatten im allgemeinen die Regierungen den Versuch aufgegeben, die Sache überhaupt regeln zu wollen.
    Besser als lange Darlegungen gibt ein Vergleich dem Leser eine allgemeine Vorstellung davon, wie die Menschen in jenen Tagen zusammenlebten, und wie insbesondere die sozialen Beziehungen zwischen Armen und Reichen waren. Die damalige Gesellschaft glich einer riesigen Kutsche, vor die die große Masse gespannt war, und die von dieser auf einer holperigen, und staubigen Straße mühsam vorwärtsgeschleppt wurde. Der Hunger war Kutscher, und er duldete kein Verschnaufen. Aber trotzdem ging es nur sehr langsam vorwärts. Obwohl es so hart war, auf dem beschwerlichen Wege den Wagen fortzuschleppen, war dieser doch mit Passagieren besetzt, die niemals abstiegen, mochte die Straße noch so steil ansteigen. Die Sitze auf dem Wagen waren sehr luftig und bequem. Unbelästigt durch den Staub konnten ihre Inhaber sich mit Muße an der Landschaft ergötzen oder kritische Bemerkungen über das Verdienst des sich abquälenden Vorspanns austauschen. Natürlich waren die Sitzplätze sehr begehrt, und beim Wettbewerb um sie ging es heiß her. Jeder hielt es für das Hauptziel seines Lebens, sich selbst einen Sitzplatz in der Kutsche zu sichern und ihn später seinen Kindern zu hinterlassen. Nach dem Wagenreglement konnte jeder Passagier seinen Platz überlassen, wem er wollte; andererseits gab es jedoch viele

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