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Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Titel: Ein Rückblick aus dem Jahr 2000 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Bellamy
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des Menschengeschlechts, wenigstens in Amerika.“
    Bellamys Roman ist getragen von der Auffassung, daß die Gesellschaft an ihrer wirtschaftlichen Grundla ge reformiert werden müsse durch die Organisation jeder Art Arbeit in einem Heere aller wirtschaftlich dienst pflichtigen Bürger. Dieser sorgfältig gegliederten Ar mee ist die Aufgabe anvertraut, die Nation zu erhalten, ge nau so wie heute die militärische Organisation den Staat nach außen hin schützen soll. Bellamy entwickelt das System, nach dem das Arbeitsheer aufgebaut werden und funktionieren soll. Er erweist sich damit als Uto pist, als sozialer Erfinder und Entdecker, der die sozia le Neuordnung in seinem Kopfe vorausschaffen will. Er ist also kein wissenschaftlicher Sozialist, der „mittels seines Kopfes“ in der Gesellschaft selbst die Kräfte und Gesetze bloßzulegen und zu verstehen strebt, die unabwendbar zu höheren Formen der Gesellschaft führen. Wohl sieht er die Tendenzen am Werk, die in der kapitalistischen Wirtschaft selbst die Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und die Sozialisierung der Gütererzeugung und Güterverteilung vorbereiten. Allein er ahnt nicht die menschliche Macht, die erkennend und wollend diese Tendenzen zum Siege tragen muß. Die Umwandlung der Gesell schaft ist nach ihm das Werk einer „Nationalistenpar tei“, zusammengesetzt aus den Denkenden und Wohlmeinenden aller sozialen Schichten, sie ist nicht die Schöpfung des revolutionären Proletariats. Nicht nur die mangelnde geschichtliche Schulung Bellamys ist es, die sich in dieser Meinung spiegelt, auch die Zersplitterung und Schwäche, die politische Rückständigkeit des amerikanischen Proletariats jener Zeit, wie der Ansätze zu seiner sozialistischen Erweckung und Sammlung.
    Wenngleich dem „Rückblick“ die Tiefe und Schärfe des wissenschaftlichen Sozialismus fehlt, so ist das Buch doch reich an Anregungen, kritischen und fruchtbaren Gedanken über das Heute und Morgen der Gesellschaft. Der Wahrheitsmut, mit dem sich Bellamy über die Schäden der gegenwärtigen Ordnung der Dinge und namentlich ihre moralischen Folgen äußert, gewinnt ebenso wie der große sittliche, etwas nüchterne Ernst, mit dem er die überlegene Neuordnung der Gesellschaft schildert. Der Roman beantwortet treffend manche Frage über den „sozialistischen Zukunftsstaat“, die zumal der flachgeistige Fortschrittsphilister so gern zu stellen pflegt.
    Als Bellamys „Rückblick“ in Deutschland bekannt wurde, lastete der letzte Druck des Sozialistengesetzes auf dem geistigen und politischen Leben der Arbeiterklasse. Mit Begeisterung und ohne allzu strenge künstlerische Kritik nahm man damals jede Veröffentlichung auf, in der etwas vom Geiste des Sozialismus lebte und atmete. Unter dem Eindruck dieser Stimmung wurde Bellamys Utopie lediglich nach ihrem Gedankengehalt hin gewertet, und ich übernahm eine erste Übersetzung des Romans, die 1890 im Verlag von J. H. W. Dietz in Stuttgart erschien. Wenn ich mich jetzt dazu entschließe, nach so langer Zeit diese Übersetzung in neuer Auflage erscheinen zu lassen, so ist es die Überzeugung, daß der „Rückblick“ auch heu te noch den arbeitenden Massen sehr viel zu sagen hat, ja vielleicht heute mehr als je, wo der Weltkrieg auch die letzten Schleier der Erkenntnis darüber zerrissen hat, daß die Aufrichtung der sozialistischen Gesellschaft das Werk des kämpfenden Proletariats sein muß.

 
Vorwort des Autors
     
    Historische Sektion der Shawmut-Universität zu Bo ston am 28. Dezember 2000
     
    Uns, die wir im letzten Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts leben, fällt ohne Zweifel die Vorstellung schwer, daß die gegenwärtige, so vollkommene Gesellschaftsordnung weniger als hundert Jahre alt ist {1} . Es sei denn, wir hätten tiefgründige geschichtliche Studien getrieben. Wir erfreuen uns nämlich der Segnungen einer sozialen Ordnung, die ebenso einfach wie logisch ist, so daß sie als Triumph des gesunden Menschenverstandes nur selbstverständlich erscheint. Keine histori sche Tatsache steht jedoch unumstößlicher fest als die se: Fast bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts wur de allgemein geglaubt, die alte wirtschaftliche Ordnung mit all ihren schrecklichen sozialen Folgen müsse bis ans Ende der Tage bestehen. Höchstens könne sie durch ein bißchen Stück- und Flickwerk verbessert werden. Wie seltsam und beinahe unglaublich scheint es, daß sich in einem so kurzen Zeitraum solch wunderbare materielle

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