Ein Rückblick aus dem Jahr 2000
hätte wie die Umwandlung der alten in die neue Gesellschaftsordnung zu Anfang dieses Jahrhunderts. Als die Menschen die Größe des ihnen zugefallenen Glückes zu ermessen anfingen, erkannten sie, daß die stattgehabte Umwälzung nicht nur eine Verbesserung ihrer Lage im einzelnen bedeutete, sondern das Emporsteigen der Menschheit zu einer höheren Stufe der Zivilisation, die die Aussicht auf einen unbegrenzten Fortschritt eröffnete. Alle Fähigkeiten ihres Geistes wurden angeregt, so daß auf allen Gebieten menschlichen Schaffens eine Blüte eintrat, die den Glanz der Renaissance in den Schatten stellt. Es brach eine Periode an, ausgezeichnet durch einen einzig dastehenden Reichtum technischer Erfindungen, wissenschaftlicher Entdeckungen, großartiger und zahlreicher Schöpfungen der bildenden Künste, der Musik und Literatur. Keine zweite Epoche der Geschichte läßt sich mit ihr vergleichen.“
„Da wir gerade über Literatur sprechen“, sagte ich, „so möchte ich gern wissen, wie jetzt Bücher veröffentlicht werden. Gibt die Nation sie heraus?“
„Gewiß.“
„Aber wie verfährt sie dabei? Veröffentlicht die Regierung auf Kosten der Allgemeinheit alles, was geschrieben wird, oder übt sie eine Zensur aus und läßt nur das im Druck erscheinen, was sie billigt?“
„Weder das eine noch das andere“, erwiderte Doktor Leete. „Dem Amt für die Herausgabe von Schriftwerken steht kein Recht der Zensur zu. Es ist verpflichtet, alles drucken zu lassen, was ihm vorgelegt wird. Doch geschieht dies nur unter der Bedingung, daß der Verfasser mit seinem Kredit für die ersten Herstellungskosten aufkommt. Er muß für das Vorrecht bezahlen, zur ganzen Nation zu sprechen. Wir meinen, daß er gern zu der Ausgabe bereit sein wird, wenn er etwas zu sagen hat, was des Anhörens wert ist. Wären die Einkommen noch ungleich wie in früheren Zeiten, so würde diese Regelung nur den Reichen erlauben, Schriftsteller zu sein. Jetzt dagegen, wo alle Bürger gleichgestellt sind, läßt sie den Verfasser nur zeigen, wie stark der Drang, wie ernst der Beweggrund ist, der ihn zum Schreiben treibt. Wenn man sparsam ist und vor einigen Opfern nicht zurückschreckt, so kann man aus seinem Jahreskredit recht wohl die Herstellungskosten für die Auflage eines Buches von mittlerem Umfang decken. Ist ein Buch veröffentlicht, so übernimmt die Nation seinen Vertrieb.“
„Ich vermute, daß der Verfasser wie zu meinen Zeiten im Hinblick auf die zu erwartende Einnahme ein Honorar erhält“, bemerkte ich.
„Die Angelegenheit wird zwar anders geregelt als zu Ihrer Zeit doch so, daß der Verfasser eines Werkes am Ertrag Anteil hat. Der Preis eines Buches wird durch die Kosten seiner Veröffentlichung und das Autorenhonorar bestimmt, über dessen Höhe der Verfasser selbst entscheidet. Setzt er es zu hoch an, so ist es natürlich sein eigener Schaden, denn das Buch findet dann keine Abnehmer. Der Betrag des Honorars wird dem Autor gutgeschrieben, und dieser selbst wird aller anderen Arbeiten für die Nation so lange enthoben, wie der Betrag seinen Unterhalt deckt. Wenn ein Buch nur einigermaßen gefällt, so kann sein Verfasser Urlaub für mehrere Monate, ja günstigenfalls auch für ein, zwei und drei Jahre erhalten. Schafft er in dieser Zeit weitere Werke von Erfolg, so wird seine Dienstfreiheit der Verbreitung seiner Bücher entsprechend weiter und weiter ausgedehnt. Ein vielgelesener Autor kann sich während der ganzen Dauer seiner nationalen Arbeitspflicht mit seiner Feder erhalten. Die Möglichkeit, der literarischen Tätigkeit mehr oder weniger Zeit widmen zu können, hängt also von der Anerkennung und Wertschätzung seines schriftstellerischen Talents durch die öffentliche Meinung ab. In dieser Hinsicht zeitigt unse re Regelung der Dinge kaum ein anderes Ergebnis als die zu Ihrer Zeit übliche, dennoch aber sind zwei wesentliche Unterschiede vorhanden. Erstens verleiht heute die allgemeine Höhe unserer Bildung dem Volksurteil über den wirklichen Wert einer literarischen Leistung eine ausschlaggebende Bedeutung, wie sie ihm zu Ihrer Zeit auch nicht im entferntesten zukam. Zweitens hat unsere Zeit gründlich mit dem Protektionsunwesen aufgeräumt, das die Anerkennung des wahren Verdienstes verhindern könnte. Unter Ihrer Gesellschaftsordnung war die Gönnerwirtschaft zum herrschenden und korrumpierenden System erhoben worden. Bei uns dagegen hat ein Schriftsteller genau dieselbe Gelegenheit wie der andere, sein Werk vor
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