Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Titel: Ein Rückblick aus dem Jahr 2000 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Bellamy
Vom Netzwerk:
Klassen und Kasten scheidet oder eine solche Scheidung zuläßt? Unstreitig die Abschwächung des Gefühls, daß wir alle Menschen sind, daß wir alle zusammen nur eine Menschheit bilden. Die Gesellschaft Ihrer Zeit war in zwei Klassen zerrissen, die einander in vielen Beziehungen als verschiedene Rassen betrachteten. Die Ursache davon war die ungleiche Verteilung des Reichtums und hoch viel mehr die ungleiche Erziehungs- und Bildungsgelegenheit. Im Grunde jedoch besteht zwischen unserer und Ihrer Anschauung über die gegenseitigen Dienste gar kein so tiefgehender Unterschied, als es im ersten Augenblick scheinen könnte. Zu Ihrer Zeit würden gebildete Damen und Herren von Angehörigen ihrer Klasse ebensowenig Dienste angenommen haben, die zu erwidern sie für entwürdigend gehalten hätten, als wir dies heutzutage tun. Auf die Armen und Ungebildeten blickten sie dagegen herab, als ob sie Wesen niedrigerer Art wären. Der gleiche Reichtum und die gleiche Bildungsgelegenheit für alle haben uns alle zu Angehörigen einer Klasse gemacht, die der am meisten bevorzugten gesellschaftlichen Schicht Ihrer Zeit entspricht. Ehe nicht die Gleichheit der Lebensbedingungen verwirklicht worden war, konnte auch die Erkenntnis von der Solidarität, der Bruderschaft aller Menschen nicht eine in Fleisch und Blut übergegangene Überzeugung werden, der leitende Grundsatz für unser Handeln, wie dies heutzutage der Fall ist. Wohl sprach man auch zu Ihrer Zeit von der Solidarität und Brüderlichkeit aller Menschen, allein es war nichts, als hohle Phrase.“
    „Wird man Kellner aus freier Wahl?“ fragte ich.
    „Nein“, erwiderte Doktor Leete. „Die Kellner sind junge Leute, die zur Klasse der Ungelernten unseres Arbeitsheeres gehören. Wie ich Ihnen schon sagte, werden den Dienstpflichtigen dieser Art alle Arbeiten übertragen, die keine besondere technische Fertigkeit verlangen. Das Bedienen bei Tisch gehört zu diesen Verrichtungen, und so muß jeder junge Rekrut eine Zeitlang als Kellner unseres Arbeitsheeres tätig sein. In dieser nämlichen Speisehalle wartete ich vor ungefähr vierzig Jahren einige Monate lang als Kellner auf. Sie müssen festhalten, daß wir keinen Unterschied in dem Wert aller Arbeiten gelten lassen, die das Wohl der Nation erfordert. Sie alle sind gleich würdig und ehrenvoll. Jemand, der andere bedient, hält weder sich selbst für deren persönlichen Diener, noch wird er von anderen als solcher betrachtet, auch ist er in keinerlei Weise von jenen abhängig, die seine Dienste in Anspruch nehmen. Es ist immer und ausschließlich die Nation, der er dient. Wir anerkennen keinen Unterschied zwischen den Leistungen eines Kellners und denen eines anderen Arbeiters. Von unserem Standpunkt aus ist es höchst gleichgültig, daß gewisse Dienste von Person zu Person geleistet werden. Was in dieser Beziehung für den Kellner gilt, trifft ja auch für die Tätigkeit des Arztes zu. Der Kellner, der uns heute aufwartet, wird gewiß nicht auf mich herabblicken, weil ich ihm als Arzt gedient habe. Aber so wenig wie ich das zu gewärtigen habe, so wenig lasse ich mir einfallen, auf ihn herabzublicken, weil er mich jetzt als Kellner bedient.“
    Nach der Mahlzeit führten mich meine Wirte durch das Gebäude, dessen Größe, prachtvolle Architektur und reiche Ausstattung mich geradezu verblüfften. Der Bau schien nicht bloß als Speisehalle zu dienen, sondern auch als Festhalle und Mittelpunkt des geselligen Verkehrs unseres Bezirks. Ich vermißte auch nicht eine der Einrichtungen, die zur Unterhaltung oder Erholung dienen.
    Als ich meiner Bewunderung Ausdruck verlieh, sag te Doktor Leete: „Sie haben hier ein Beispiel zu dem vor sich, was ich Ihnen bei unserer ersten Unterhaltung sagte, als Sie einen Blick über die Stadt warfen. Betrachten wir die Pracht und Großartigkeit unseres öffentlichen und gemeinschaftlichen Lebens und daneben die verhältnismäßige Einfachheit unserer privaten, häuslichen Verhältnisse, so springt der gewaltige Gegensatz zwischen dem zwanzigsten und dem neunzehnten Jahrhundert in die Augen. Um uns keine unnötigen Lasten aufzubürden, umgeben wir uns in unserem Heim mit so wenig Hausrat, als sich nur irgendwie mit unserer Behaglichkeit verträgt. Dagegen zeichnet sich unser soziales Leben durch einen Reichtum und eine Pracht aus, wie sie die Welt noch nie gesehen hat. Alle gewerblichen und sonstigen Berufsgenossenschaften besitzen ihre Klubhäuser, die dieser Speisehalle an Umfang nicht

Weitere Kostenlose Bücher