Ein Rückblick aus dem Jahr 2000
gewonnen.“
„Wie honoriert man die Mitarbeiter, da sie doch nicht mit Geld bezahlt werden können?“ fragte ich.
„Der Redakteur verständigt sich mit ihnen über den Preis ihrer Arbeiten. Der Betrag ihres Honorars wird von dem garantierten Kredit der Zeitung auf ihren persönlichen Kredit übertragen. So gut wie die anderen Schriftsteller werden die Mitarbeiter die Tagesblätter für so lange von der allgemeinen Arbeitspflicht befreit, wie der ihnen gutgeschriebene Kredit ihren Unterhalt deckt. Das Erscheinen von Zeitschriften erfolgt unter den nämlichen Umständen. Bürger, deren Interesse durch den Prospekt einer Zeitschrift erregt worden ist, zeichnen einen Beitrag, der das Erscheinen für ein Jahr sichert. Sie wählen einen Redakteur, der seine Mitarbeiter genau in der von mir erklärten Weise honoriert, während selbstverständlich die Nationaldruckerei für die materielle Herstellung der Revue sorgt. Sie werden wissen wollen, wie das Leben sich für den Bürger gestaltet, dessen Amtstätigkeit als Redakteur ein Ende hat, und der nicht durch andere literarische Arbeiten das Recht einer freien Verwendung seiner Zeit erringen konnte. Nun, er tritt einfach wieder in die Arbeitsarmee zurück. Ich muß noch hinzufügen, daß ein Redakteur gewöhnlich für ein ganzes Jahr gewählt wird und in der Regel jahrelang auf seinem Posten verbleibt. Natürlich steht aber den Subskribenten das Recht zu, ihn sofort zu entlassen, falls er die Haltung des Blattes plötzlich ändern und es nicht mehr im Sinne seiner Auftraggeber leiten sollte.“
Als sich die Damen abends zurückgezogen hatten, brachte mir Edith ein Buch und sagte: „Sollten Sie auch heute noch nicht schnell einschlafen können, Herr West, so würde es Sie vielleicht interessieren, diese Erzählung von Berrian durchzublättern. Sie gilt für ein Meisterwerk und wird Ihnen wenigstens eine Vorstellung davon geben, wie man heutzutage Erzählungen schreibt.“
In die Lektüre von „Penthesilea“ versenkt, saß ich die ganze Nacht auf, bis der Morgen dämmerte; ich konnte das Buch nicht eher aus der Hand legen, bis ich es ausgelesen hatte. Möge kein Bewunderer des großen Romanschriftstellers des zwanzigsten Jahrhunderts mir verargen, was ich bekenne: Was beim erstmaligen Lesen den tiefsten Eindruck auf mich machte, war nicht das, was in dem Buche stand, sondern das, was ich nicht darin fand. Die Schriftsteller meiner Zeit würden das Ansinnen, Ziegelsteine ohne Stroh herzustellen, leicht gefunden haben im Vergleich zu der Aufgabe, einen Roman zu schreiben, aus dem alle Wirkungen verbannt sein sollten, die aus den Gegensätzen entspringen zwischen Reichtum und Armut, Bildung und Unwissenheit, Roheit und feiner Sitte, zwischen dem sozialen Oben und Unten; einen Roman, der seine Motive nicht mehr suchen darf in Stolz und Ehrgeiz, in dem Wunsch, reicher, der Furcht, ärmer zu werden, in der gemeinen Sorge für die eigene oder eine fremde Existenz; einen Roman, in dessen Mittelpunkt nach wie vor die Liebe steht, aber eine Liebe, die nicht mehr durch künstliche Schranken gehemmt wird, wie sie von den Unterschieden des Standes und Besitzes geschaffen wurden, sondern eine große, reine Liebe, die kein Gesetz kennt, als die Stimme des Herzens. Die Lektüre von „Penthesilea“ gab mir einen besseren allgemeinen Einblick in die gesellschaftlichen Zustände des zwanzigsten Jahrhunderts, als es die langatmigsten Erklärungen vermocht hätten. Doktor Leetes Erläuterungen hatten mich allerdings in eingehender Weise über viele Tatsachen aufgeklärt. Allein mein Geist hatte davon bloß Einzeleindrücke zurückbehalten, die ich nur sehr unvollkommen miteinander in Zusammenhang zu bringen vermochte. Berrian fügte sie mir zu einem einheitlichen Bilde zusammen.
16. Kapitel
Julian West wird Geschichtsprofessor
Den folgenden Morgen stand ich etwas vor der gewöhnlichen Frühstückszeit auf. Als ich die Treppe hinabging, trat Edith in den Flur; sie kam aus dem Zimmer, das der Schauplatz meines früheren Morgengesprächs mit ihr gewesen war.
„Aha!“ rief sie mit einem bezaubernd schelmischen Ausdruck aus. „Sie dachten wohl, sich wieder heimlich aus dem Staube zu machen, um eine jener einsamen Morgenwanderungen zu unternehmen, die Ihnen so ausgezeichnet bekommen? Aber Sie sehen, daß ich diesmal zu zeitig für Ihren Plan aufgestanden bin. Sie sind ertappt und gefangen.“
„Sie setzen den Erfolg Ihrer eigenen Kur herab“, sagte ich, „wenn Sie meinen,
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