Ein schicksalhafter Sommer
waltet so, wie es ihm gefällt. Treibt es mit meiner Tochter und lacht sich über mich tot.“
„Hermann, was uns alle so beunruhigte, war eigentlich die andere Sache, die ich erwähnte!“, rief Luise wütend hinter ihm her. „Das mit der Katrin hab ich dir doch nur zum besseren Verständnis erzählt. Damit du weißt, dass er ein Motiv gehabt hätte. Jetzt bleib doch gefälligst hier!“ Hilfesuchend sah sie Mine an. „Sag du doch auch mal was!“
„Was soll ich denn sagen? Ich weiß ja nicht mal, worüber ihr redet“, keifte diese zurück.
„Ich rede davon, dass ich eigentlich die Meinung meines Mannes hören wollte, ob er vielleicht anderer Ansicht ist als wir und dass wir beratschlagen, was wir als nächstes unternehmen sollten. Und was tut er?“ Luise wurde durch das Knallen der zufallenden Haustür unterbrochen. Hatte sie wirklich geglaubt, der unfehlbare Hermann, in seinem Stolz verletzt, würde irgendetwas mit ihr, Luise, besprechen, oder gar ihre Meinung hören wollen? Sie stieß schwer den Atem aus. „Ich hab gewusst, dass er so reagieren würde. Und er wundert sich, dass man davor zurückschreckt, sich ihm anzuvertrauen.“ Bedrückt setzte sich Luise an den Küchentisch. „Und was machen wir jetzt?“
„St. Martin, Sahankt Maartiin“, sang Otto gutgelaunt, während sie durch die dunklen Felder marschierten, der Weg nur erleuchtet durch die flackernde Runkelrübe.
Katrin sah sich um, als sie an dem Wäldchen vorbeimarschierten. Ein bisschen mulmig war ihr schon. Um sich selbst abzulenken, stimmte sie in Ottos Gesang ein. Es war ganz schön stürmisch geworden und die ersten Regentropfen trafen sie. Der Regen wurde immer stärker und Katrin war froh, dass sie bald zu Hause waren.
Immer noch singend, verfielen sie das letzte Stück in Laufschritt, bis sie endlich den Hof erreicht hatten. Lachend blies Otto die Kerze aus und öffnete die Tür. Doch als sie eintraten, erstarb Ottos Lachen. Todesstille empfing sie. Niemand war zu sehen. Zwei einsame Tassen, gefüllt mit Tee, standen auf dem Küchentisch. Keiner aß Abendbrot, denn im Esszimmer war es stockfinster.
„Mama?“ , rief Katrin und als keine Antwort kam, ging sie langsam weiter durch die Küche ins Treppenhaus.
„Wo sind die denn alle?“ , flüsterte Otto eingeschüchtert und folgte langsam seiner Schwester.
„Ich weiß es nicht“, murmelte Katrin.
„Mama! Papa! Oma! Wo seid ihr alle?“, rief sie abermals und schaute nach oben. Dort sah sie einen Lichtschimmer. Dann endlich erschien jemand oben im Flur.
„Da sind sie, Luise“, hörte Katrin die altersschwache Stimme ihrer Oma.
„Oma!“, stieß sie erleichtert aus. „Was macht ihr denn alle da oben?“
Hinter Oma Mine erschien ihre Mutter. „Katrin, Otto, bin ich froh, dass ihr wieder hier seid.“
Katrin und Otto machten sich auf ins obere Stockwerk, da keine der beiden Frauen Anstalten machte, herunter zu kommen. Oben angekommen, erkannte Katrin im Licht der Lampe das gramverzerrte Gesicht ihrer Mutter. „Was ist passiert?“, fragte sie alarmiert.
„Es ist Papa“, brachte Luise heraus. „Er war ohnmächtig, aber jetzt ist er wieder zu sich gekommen. Er hat sich den Kopf aufgeschlagen und ich wollte den Arzt holen. Aber dein Vater hat es mir verboten. Verboten! Er sagt, es geht schon wieder, aber trotzdem muss sich das doch ein Arzt ansehen.“ Luise rang die Hände und redete ohne Punkt und Komma.
„Den Kopf aufgeschlagen? Ist er gestolpert oder ist ihm schlecht geworden? Hatte er vielleicht wieder einen Infarkt?“, fragte Katrin, nicht weniger hektisch als ihre Mutter.
„Ich weiß es nicht. Er sagt, er kann sich nicht erinnern. Er ist in die Scheune gegangen, weil er mit Robert reden wollte und kam einfach nicht wieder. Robert hat ihn dann gefunden.“ Luise ging wieder den Gang hinunter. „Er hat ihn auch hier herauf getragen“, erzählte sie weiter, ohne sich umzudrehen. „Dann ist euer Vater wachgeworden und hat ihn aus dem Zimmer geworfen. Ich wollte Robert dann schicken, den Arzt holen, aber dein Vater meint, es ginge ihm wieder gut. “ Luise drückte die Klinke der Schlafzimmertür runter und trat ein. Katrin und Otto folgten ihr. Hermann lag im Bett, an der Stirne eine klaffende riesige Beule, von der er gerade einen blutigen Lappen entfernte. Er war kreidebleich und seine Hand zitterte.
„Papa“, rief Katrin und eilte an das Bett. „Wie geht es dir?“ Er sah furchtbar aus.
„Ach, ein bisschen schwummrig ist mir. Ich werd
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