Ein schicksalhafter Sommer
jetzt schlafen und morgen bin ich wieder auf den Beinen“, sagte er mit schwacher Stimme.
„Bitte, Hermann, lass mich doch den Arzt rufen!“ , bettelte Luise.
„Hör doch auf, Frau“, wisperte er. „Wenn es mir morgen noch nicht besser geht, dann ruf ihn meinetwegen. Aber du rennst jetzt nicht abends noch durch Wind und Wetter, nur weil ich gestürzt bin.“ Hermann schloss erschöpft die Augen.
„Vielleicht hattest du wieder einen Schwächeanfall und bist deshalb gestürzt. Dann müssen wir den Arzt unbedingt holen, wenn es wieder das Herz ist. So wie du dich vorhin aufgeregt hast, würde mich das nicht wundern.“
„Ich weiß nicht, wie es passiert ist, Luise . Ich bin in die Scheune gegangen und dann hab ich hier im Bett die Augen wieder aufgemacht. Also werd ich dem Doktor da auch nichts sagen können und jetzt lass mich.“
„Dann muss t du eben ins Krankenhaus, dein Herz untersuchen lassen.“
„Morgen, Luise. Und jetzt lass mich allein. Durch dein Gejammer geht es mir nur noch schlechter.“
Geknickt gab Luise nach und verließ das Zimmer.
„Was ist denn mit Papa?“ , wisperte Otto.
„Papa ist gefallen und muss sich jetzt ausruhen“, flüsterte Katrin zurück. „Komm, Otto, wir gehen jetzt runter. Ich geh melken und du hilfst Mama und Oma beim Abendbrot. “
Katrin molk die Kuh und versuchte, sich zu beruhigen. Alles um sie herum schien aus den Fugen zu geraten. Egal, wohin sie sich wandte, überall warteten neue Hiobsbotschaften. In jeder Ecke schien irgendeine Bedrohung zu lauern. Wie zur Untermalung ihrer düsteren Gedanken tobte draußen der Sturm und rüttelte an den Fenstern des Stalles. Melli muhte unruhig, und Katrin konnte es ihr nicht verdenken. Vielleicht spürte auch sie die unterschwellige Bedrohung, die über ihnen zu schweben schien. Kaum vorstellbar, dass sie noch vor kurzer Zeit so glücklich gewesen war, wie nie zuvor in ihrem Leben. Katrin sah zu, dass sie mit ihrer Arbeit fertig wurde und als sie den Stall verließ, ging sie nicht wieder ins Haus, sondern zu Robert. Sie musste mit ihm reden. Sofort.
Kapitel 21
Sie klopfte an die grobe Holztür von Roberts Unterkunft und öffnete dann langsam die Tür. Die Kammer war leer. Wo mochte er sein?
„Suchst du mich?“
Katrin schrak zusammen. Sie drehte sich herum und da stand er im Dunkeln, keine zwei Meter entfernt, an die Wand des Hühnerstalls gelehnt. Hatte er eben schon da gestanden? Warum hatte er nichts gesagt? Merkwürdig, wie fremd er ihr jetzt erschien, wie bedrohlich seine Worte, nur, weil sich dieser Verdacht in ihrem Kopf festgesetzt hatte. „Ja, ich muss mit dir reden“, brachte sie heraus.
Immer noch lehnte er an der Mauer, die Arme verschränkt, sein Gesicht im Dunkeln nicht zu erkennen. Dann stieß er sich ab. „Wie geht es deinem Vater?“
„Schlecht, aber er will nicht, dass wir einen Arzt rufen. Nicht vor morgen früh.“ Sie versuchte, sein Gesicht zu erkennen. „Aber das ist es nicht, worüber ich mit dir reden will.“
„Nein?“ Langsam trat er auf sie zu. „Worüber denn dann?“
„Können wir nicht hineingehen? Ich friere.“
„Sicher.“ Er wartete, bis sie eingetreten war, dann folgte er ihr. Er schloss die Türe, machte Licht und stellte die Lampe auf den Tisch.
Katrin setzte sich steif auf einen Stuhl, doch als sie erkannte, dass er stehenblieb, wünschte sie, sie hätte sich nicht hingesetzt. Fassungslos schüttelte sie den Kopf. Das war doch albern. Sie verhielt sich wie eine Fremde, dabei waren sie sich so vertraut gewesen. „Robert“, begann sie, um dann wieder zu verstummen. Wie sollte sie beginnen? Was sollte sie sagen?
Schließlich nahm sie allen Mut zusammen und sprudelte mit dem heraus, was ihr am ehesten in den Sinn kam. „Wolltest du meine Schwester überfallen?“, fragte sie und wollte gleichzeitig im Erdboden versinken, ob des Verrats, dass sie ihn dieser Tat verdächtigte. Sie wappnete sich gegen die Enttäuschung oder auch Empörung oder die Ungläubigkeit, die sie in seinem Gesicht zu sehen erwartete. Doch seine Reaktion traf sie unvorbereitet.
Er sah sie eine Weile nur stumm an. „Ich weiß es nicht“, sagte er schließlich tonlos.
„Was?“, wisperte sie schockiert. „Was hast du gesagt?“
„Ich hab gesagt, ich weiß es nicht.“ Immer noch stand er mitten im Raum, die Arme hingen locker an den Seiten herunter. Dann stöhnte er plötzlich auf und rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht. Als er die Hände wieder herunter
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