Ein schicksalhafter Sommer
meinem Gesicht fertig sind.“ Sie wand sich ihm jetzt ganz zu und lächelte.
Er starrte in ihre leeren Augenhöhlen und hörte das Brummen der Fliegen, die sich in ihrem Mund tummelten und das schmatzende Geräusch der Würmer, die sich an ihrer Nase gütlich taten. Mit einem Ausruf des Entsetzens krabbelte Robert panisch rückwärts, doch sie streckte ihre Hand nach ihm aus und er schlug sie angeekelt weg.
„Robert, was hast du nur, gefällt dir nicht, wozu du mich gemacht hast?“ , fragte sie weinerlich, während sie sich unsicher über ihr Gesicht strich. Die Maden und Fliegen fielen mit den Hautfetzen zu Boden. „Warum hast du das dann getan?“, schrie sie. „Warum hast du das getan?“
Sie riss immer heftiger an ihrem Gesicht und Robert schüttelte es vor Entsetzen. Er sprang auf und blind rannte er immer weiter, bis er stolperte und fiel. Er schlug hart auf und öffnete die Augen. In der Dunkelheit hörte er sein schwere s Atmen und bemerkte das nassgeschwitzte Bettzeug.
„Oh, Gott!“ Er atmete tief ein und aus. Nur ein Traum. Er setzte sich auf und stützte den Kopf in seine Hände. Fast nur ein Traum. Die Vergangenheit vermischte sich mit der Gegenwart. Robert lachte verzweifelt auf.
Im Laufe der Jahre war er ein Meister darin geworden, seine schrecklichen Erinnerungen zu verdrängen. Ihm war zwar bewusst, was er damals getan hatte, doch dachte er niemals wirklich darüber nach. Die meiste Zeit schaffte er es, alles auszublenden, was mit seinem früheren Leben zusammenhing. Nur in der Nacht, da suchte ihn seine Vergangenheit heim. Da ließ ihn sein Gewissen nicht zur Ruhe kommen. Obwohl er schon gehofft hatte, die Alpträume los zu sein. Als er hier angekommen war, war er abends so erschöpft in sein Bett gefallen, dass er geschlafen hatte wie ein Toter. Und als er auch in der folgenden Zeit weiterhin gut schlief, hatte er das als Zeichen gewertet. Als Zeichen, dass er mit seinem neuen Leben hier das alte endgültig hinter sich gelassen hatte und neu anfangen konnte.
Er stand müde auf und machte seine Laterne an. Mit einem bitteren Lächeln dachte er, dass er sich da wohl getäuscht hatte. Zumindest was die Alpträume betraf. Er schüttete sich eine Tasse Wasser ein und trank einen Schluck. Er wünschte, es wäre etwas Stärkeres. Nachdenklich ließ er das Wasser in der Tasse kreisen. Vielleicht war es ja gut, dass er niemals ganz vergaß, wozu er fähig war. Je länger er hier auf dem Hof lebte, desto unwirklicher erschien ihm sein früheres Leben. Kreisten seine Gedanken anfangs nur darum, dass ihn ja keiner als das erkennen würde, was er war, so erschien ihm der Mann, der damals in dem dreckigen Loch gehaust hatte, nun eher wie eine völlig andere Person. Ein Fremder. Er selber fühlte sich wie Robert, der Knecht, der zum Hof gehörte und der die Tochter des Bauern liebte.
Robert stockte der Atem und er stellte die Tasse ab. Ja, er liebte sie. Und darum war es umso wichtiger, dass er niemals vergaß, was er getan hatte. Verzweifelt dachte er an das letzte Mädchen, dass er geglaubt hatte zu lieben. Obwohl er jetzt wusste, dass es damals nur eine dumme Schwärmerei war, nicht zu vergleichen mit den starken Gefühlen, die er für Katrin empfand.
Und wie hatte es geendet? Er lachte bitter auf. Er wusste schon, warum er alle Gedanken an früher verdrängte, denn wenn er auch nur einen Augenblick darüber nachdenken würde, wozu er in der Vergangenheit fähig gewesen war, würde er wissen, dass er keine Sekunde länger unter diesen Menschen hier leben konnte, die er alle gern hatte. Schnell ging er zur Türe und riss sie auf.
Die kühle Nachtluft schlug ihm entgegen. Nein, er wollte nicht darüber nachdenken. Er weigerte sich, auch nur etwas davon wieder in sein Bewusstsein sinken zu lassen. Er trat hinaus und sah hinauf zum Himmel, besah sich die glitzernden Sterne und den Mond, der schien. Die Erinnerungen drängte er zurück in die dunkle Ecke seines Verstandes, von wo sie nur entfliehen konnten, wenn er schlief. Robert betrachtete den Hof, wie er so im Dunkeln dalag. Die Pappeln, deren Umrisse er hinter den Dächern von Scheune und Stall erkennen konnte, wiegten sich im Wind. Alles war so ruhig und friedlich.
Langsam dämmerte es. Der Hahn krähte und zerriss die Stille. Als die Dunkelheit verschwand, nahm sie einen Großteil des Schreckens, den der Traum gebracht hatte, mit sich und Robert fasste wieder Mut. Er war nicht mehr der Mann von damals. Hier hatte er sein Glück gefunden und
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