Ein schicksalhafter Sommer
ab und suchte maunzend das Weite.
Mit einem erschrockenen Ausruf setzte Katrin ihr Kätzchen ab und beugte sich zu Robert hinüber. „Was ist ?“
„Nichts, ist schon wieder gut. Ich hab mich bloß erschreckt.“
„Lass mal sehen.“ Katrin fasste an sein Handgelenk und zog langsam die Hand von seinem Auge weg.
Robert blinzelte ein paar Mal. „Siehst du? Es ist nichts“, murmelte er.
Er war sich bewusst, dass sie immer noch sein Handgelenk fest hielt. Ihr Gesicht berührte beinahe seines, als sie sich noch weiter vorbeugte, um sich das Auge genauer anzusehen. Er wagte kaum zu atmen. Sie brachte ihn völlig durcheinander.
„Hm, du hast Glück gehabt, das Auge scheint nichts abgekriegt zu haben.“ Katrin ließ von dem Auge ab und sah ihn nun richtig an.
Er schluckte und nun spürte er, wie heftig sein Herz klopfte. Plötzlich war die winzige Distanz, die sie noch trennte, überwunden und seine Lippen berührten ihre. Ganz zaghaft erst, doch dann etwas fester. Robert schloss die Augen und langsam beendete er den Kuss. Er sah sie an und an ihrem Blick erkannte er, dass sie genauso überrascht war wie er.
Robert konnte nicht glauben, was gerade passiert war. Er wollte etwas sagen, aber sein Kopf war wie leergefegt.
Er beobachtete, wie sie ihre Fingerspitzen vorsichtig an die Lippen hob. Als sie die Hand wieder herunter nahm, sah sie ihn verwirrt an. Sie erhob sich und verließ schnell den Stall.
Was hatte er getan? Wie konnte er sie einfach küssen? Aber sie war nicht schreiend davon gelaufen. Und sie war auch nicht angewidert seinem Kuss ausgewichen. Robert lehnte sich, immer noch hockend, an die Stallwand und streckte schließlich die Beine aus. Sie musste noch einmal wieder kommen. Sie hatte vergessen, die Kuh zu melken. Ob ihr der Kuss genau so viel bedeutet hatte wie ihm? Hatte sie es auch gespürt? Aber das konnte er sie unmöglich fragen. Und schon gar nicht jetzt. Er stand auf und beeilte sich, das Stroh zu verteilen, ehe sie gleich zum Melken wiederkam.
Katrin stand an ihrem Fenster und sah hinunter zum Anbau. Es war schon dunkel, aber sie konnte nicht schlafen. Da stand sie nun. Eine achtundzwanzigjährige Jungfrau, die glücklich war wie noch nie in ihrem Leben wegen eines Kusses, den ihr der Stallknecht im Schweinestall gegeben hatte.
Ob Robert dieser winzige Kuss genauso beschäftigte wie sie? Fühlte er das Gleiche wie sie? Oder verschwendete er keinen Gedanken mehr daran und sie machte sich gerade lächerlich, weil sie viel zu viel in etwas hineinlegte, was ihm gar nichts bedeutete? Sie seufzte. Heute würde sie keine Antworten mehr bekommen. Teils zweifelnd, teils hoffnungsvoll ging sie zu Bett.
Am nächsten Morgen gingen Robert und Katrin gemeinsam zum Kohl ernten. Viel sollte es heute nicht werden, erst mal nur ein Handkarren voll. Der Kohl sollte mit zum großen Markt nach Düsseldorf, wo ihr Vater am übernächsten Tag mit Robert hinfahren würde.
Robert sah zu Katrin hinüber und wünschte sich, sie würde endlich etwas sagen. Obwohl er die ganze Nacht gegrübelt hatte, war er noch genauso unsicher wie gestern.
Katrin ging es wohl ähnlich. Beide hatten heute noch kein Wort zusammen gesprochen, aber er war sich ihrer heimlichen Seitenblicke bewusst, die sie ihm dauernd zuwarf. Wenn er nur wüsste, wie er sich jetzt verhalten sollte.
„Gleich fängt es an zu regnen“, brach sie endlich das Schweigen.
„Ja, das glaub ich auch.“ Krampfhaft überlegte er, was er noch sagen könnte, aber ihm wollte einfach nichts einfallen.
Als sie auf dem Acker ankamen und sie sich den ersten Weißkohl vornahm, schnitt er den Kohlkopf dicht neben ihr ab. Er rückte absichtlich so nah an sie heran, dass er sie unweigerlich bei der Arbeit anstieß. Als sie nicht zurückwich, fasste er sie ermutigt bei den Armen.
Langsam drehte er sie zu sich um. „Wegen gestern“, begann er, nur um direkt wieder zu verstummen.
„Ja?“ Mit großen Augen sah sie zu ihm auf.
Er zog sie einfach zu sich heran und küsste sie. Schließlich trat er zurück und blickte sie an. „Nun“, sagte er verlegen, hob eine Hand und strich ihr eine vorwitzige Strähne aus der Stirne, „ich war mir nicht sicher, ob du gestern damit einverstanden warst, was ich gemacht habe“, unsicher lachte er auf, „also hab ich gedacht, ich probier es noch mal aus.“ Er sah sie fragend an. „Ich weiß es immer noch nicht“, sagte er leise.
„Dann muss ich es dir wohl sagen“ , brachte sie mit einem Lächeln heraus.
Weitere Kostenlose Bücher