Ein schicksalhafter Sommer
weggesperrt gewesen, aber davor hatte er sein Leben lang auf Höfen gearbeitet. Alle Bauern hatten ihre Arbeitsgeräte gepflegt und ihr Hof war in einigermaßen gutem Zustand.
Natürlich konnte es passieren, dass auch der beste Bauer schnell am Rande des Ruins stand, nach einer Missernte zum Beispiel. Aber das hier! Nach und nach bekam er den Eindruck, Hermann Nessel kam vorne und hinten nicht mehr zurecht und machte vorne Löcher, um hinten welche zu stopfen. Und das schon seit langer Zeit. Der alte Nessel hatte gesagt, er müsse jede Menge kaufen. Robert bezweifelte, dass er dabei an einen neuen Pflug gedacht hatte. Den würde er für die paar Kröten bestimmt nicht bekommen. Und ein neues Pferd auch nicht. Robert hatte bei der Heuernte schon gedacht, Friedhelm würde jeden Moment tot umfallen. Der Arme hatte den schweren Wagen kaum gezogen bekommen. Wie das Tier es schaffen sollte, demnächst die Felder umzupflügen, war ihm ein Rätsel. Robert setzte sich auf der harten Holzbank bequemer hin und machte die Laterne aus. Mittlerweile war es hell, doch sie nahmen noch immer keine Geschwindigkeit auf. Robert wagte einen Blick auf seinen Gefährten. Dessen Laune, die sowieso in den letzten Wochen nicht die Beste war, hatte sich augenscheinlich noch verschlechtert. Wut und Verzweiflung weckten in einem Mann nicht gerade die besten Charakterzüge. Robert hätte dem älteren Mann gerne gesagt, dass er verstand, warum dieser sich mehr und mehr in einen Tyrannen verwandelte. Aber er war nur der Knecht, und das alles ging ihn nichts an. Er konnte nur hier sitzen und sich fragen, wie es weitergehen sollte. Mit dem Hof. Und mit Katrin. Und mit ihm.
Kapitel 9
„Also, ich mach heute keinen Handschlag mehr!“ , stieß Luise am nächsten Tag erschöpft aus. Mit hochrotem Gesicht stapfte sie aus der Scheune. „Wenigstens haben wir endlich doch noch das ganze Korn gedroschen bekommen. So spät waren wir ja noch nie.“
„Besser spät als nie.“ Nicht weniger erschöpft folgte Hermann seiner Frau. „Dann bringen wir es die Tage zur Mühle.“ Müde sah er über die Schulter zu seinem Knecht. „Für heute machen wir Schluss, Robert.“ Gebeugt schritt er über die Türschwelle, dicht gefolgt von seiner besorgten Frau.
„Was ist mit euch? Kommt ihr nicht rein?“ , rief Luise Katrin und Robert von der Tür aus zu. „Was trinken?“
„Warte“, murmelte Robert, während er sich anschickte, das Scheunentor zuzuschieben.
„Gleich, Mama“, rief Katrin und sah Robert zu, wie er sich abmühte, das Tor zu schließen. „Klemmt es wieder?“
Robert fluchte in sich hinein, zog mit aller Kraft und mit einem kreischenden Geräusch gab das schwere Tor endlich nach. „Scheiß Tor“, fluchte er noch mal atemlos.
„Hoffentlich bekommst du es jemals wieder auf“, scherzte sie.
„Ja, sonst haben wir das ganze Korn umsonst gedroschen.“ Er mochte es, wenn sie Spaß machte. „Und? Bist du müde? Oder hast du Lust, noch etwas spazieren zu gehen?“ Gespannt wartete er auf ihre Antwort.
„Ja, sicher hab ich Lust“, freute sie sich.
„Dann warte kurz.“ Erleichtert ging er zu seinem Anbau. „Ich muss noch was holen gehen.“ Damit verschwand er im Inneren des Verschlages. Kurz darauf kam er wieder heraus. „So, wir können losgehen.“
„Was musstest du denn holen?“
„Warts ab.“ Gutgelaunt gingen sie vom Hof.
„Und, wie war es gestern in der Stadt? War es aufregend?“
Robert sah sich um, bevor er antwortete. Als er sicher war, dass keiner sie sehen konnte, nahm er ihre Hand. „Es war schon interessant“, sagte er nachdenklich. „Der Markt war riesig. Und die Stadt erst. Unglaublich. Und da fuhren jede Menge Automobile rum. Und Menschenmassen kommen dir da entgegen. Das hätte ich nicht gedacht.“ Dass er das letzte Mal eine größere Stadt gesehen hatte, war an die zwanzig Jahre her.
„Warst du denn noch nie in einer Stadt? Ich dachte, du wärst schon viel rumgekommen.“ Verwundert runzelte sie die Stirn.
„Nein, du täuschst dich.“
„Aber du hast doch gesagt, du kommst aus dem Süden. Wenn du auf dem Weg nach Arbeit durch die Lande gezogen bist, musst du doch eine Menge gesehen haben.“
„Nein, soviel sieht man da nicht“, sagte er kurz angebunden.
Bei seinem rüden Tonfall zog sie die Augenbrauen hoch. Aber sie ließ nicht locker. „Woher genau kommst du eigentlich?“
„Meine Güte!“ , fuhr er auf. Als er sah, dass sie erstaunt zurückfuhr, lachte er gezwungen und fuhr
Weitere Kostenlose Bücher