Ein Schlag ins Herz
noch mehr solcher Komplexe im Gestein?
Herman und Dominik stiegen aus dem Führerhaus, machten ruhig ein paar Schritte und blieben vor dem Mann stehen, der aus dem Haus gekommen war. Die anderen Entführer sprangen mit den Waffen in der Hand von der Ladefläche und trieben die Geiseln und Patrik und Sandrine an, ebenfalls auszusteigen.
»Wo ist der Junge?«, fragte Herman.
Patrik sah die Überraschung auf Dominiks Gesicht, als der Herman fragend ansah.
Hinter dem Mann mit dem dunklen Tuch erschien ein etwa zehnjähriger, westlich aussehender Junge.
»Papa«, sagte er leise, mit unterdrückter Freude.
»Daniel«, flüsterte Herman und streckte die Hand nach dem Kind aus.
Der Junge wollte zu seinem Vater laufen, doch der Mann mit dem schwarzen Tuch hielt ihn fest.
»Hier sollte man sich vorsichtig bewegen. Die Gegend ist vermint.«
»Herman, was soll das, verdammt?«, sagte Dominik mit gedämpfter Stimme. Er war sichtlich schwer bestürzt.
Herman antwortete nicht, sondern starrte unverwandt auf den Mann, der seinen Sohn festhielt.
Die anderen Entführer sahen einander an, sprachlos vor Verblüffung.
»Wo sind die übrigen Geiseln?«, fragte der Mann mit dem Tuch.
»Einen Teil haben wir bei Angriffen der Amerikaner auf dem Schiff und im Hafen verloren«, sagte Herman.
Die dunklen Augen des Mannes wurden zu Strichen.
»Von einem Angriff der Amerikaner auf das Schiff ist in den Nachrichten nichts gemeldet worden.«
»Man hat es vor der Öffentlichkeit geheim gehalten. Die Amerikaner haben einiges zu verbergen.«
»Wir haben zehn wertvolle Geiseln«, sagte Dominik. »Einen Berater von Präsident Obama, einen israelischen Minister …«
»Ich weiß, wer sie sind«, fuhr ihn der Mann an. »Ich weiß auch, wer fehlt.«
In dem Moment erfasste Patrik den gesamten Plan von Herman und Dominik. Von Anfang an war es darum gegangen, den Taliban wertvolle Geiseln zu liefern. Sandrine hatte ja von Gerüchten erzählt, denen zufolge Herman, Jochem und Geir für einen Klanchef in Afghanistan tätig gewesen seien.
Aber Dominik hatte offensichtlich nichts von dem Jungen gewusst. Und auch sonst niemand außer Herman.
»Diese Gefangenen sind absolut die ganze Summe wert«, versicherte Dominik.
Der Afghane schwieg. Mit einem unschuldigen Lächeln auf den Lippen richtete er den Blick auf Herman.
»Wie hoch war die Summe, die du deinen Männern versprochen hast?«
Patrik bemerkte, wie die Entführer immer unruhigere Blicke austauschten.
»Ich würde sie auch gerne kennen. Nenn sie mir!«, forderte der Mann.
Abgesehen vom Rauschen des Windes war es vollkommen still auf dem Platz.
»Hundert Millionen Dollar«, sagte Jochem.
»Eine schöne Summe«, nickte der Mann. »Aber jetzt, Herman, wäre es wohl an der Zeit, ihnen die Wahrheit zu sagen.«
Herman schwieg weiterhin und schaute ganz intensiv auf seinen Sohn.
»Ich kann es an deiner Stelle tun«, sagte der Mann mit dem Tuch und wandte sich an Dominik.
»Null«, erklärte er. »Ich habe ihm null Dollar versprochen.« Auf dem Gesicht des Afghanen blitzte ein grausames Lächeln auf.
»Scheiße … Herman, was redet der da …«, zischte Dominik wütend und fuchtelte dabei mit der Waffe in seiner Hand.
Sofort richteten die afghanischen Kämpfer ihre Waffen auf die Gruppe.
»Hast du das gewusst?«, wandte sich Dominik an Jochem.
»Ich hatte keine Ahnung«, antwortete Jochem mit Blick auf Herman.
»Sie haben meinen Sohn entführt«, sagte Herman. »Sie haben gedroht, ihn zu töten, wenn ich ihnen nicht die Teilnehmer der Bilderberg-Konferenz bringe.«
Hermans Worte schienen die anderen kaltzulassen.
»Sie haben gedroht, ihn auch dann zu töten, wenn ich bei der Aktion umkomme.«
Der Gebirgswind ließ die Kleider und Haare der Männer flattern. Die langen Tücher der afghanischen Kämpfer wehten in der Luft.
»Und jetzt?«, fragte Dominik mit bebender Stimme.»Was glaubst du, was jetzt passiert? Werden sie deinen Jungen freilassen? Wird irgendeiner von uns lebend hier rauskommen?«
Patrik spürte, wie Sandrines heiße, schwitzende Hand die seine umklammerte. Der Schlag gegen die Bilderberg-Konferenz war also hier geplant worden, im Grenzgebirge zwischen Afghanistan und Pakistan. Und Herman selbst war Opfer einer skrupellosen Erpressung, man hatte ihn gezwungen, den Afghanen bedeutende Amerikaner zu bringen, um seinen eigenen Sohn zu retten.
Patrik begriff jetzt, warum Herman von Anfang an so konzentriert auf seine Aufgabe gewesen war. Er hatte
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