Ein Schnupfen hätte auch gereicht. Meine zweite Chance
Gutes« war wohl auch eher noch sehr untertrieben. Ich empfand dumpfes Unbehagen – oder um es salopp zu formulieren: Das roch nach Scheiße mit Ansage! Aber da war die Titanic schon auf Eisbergkollisionskurs und Leo DiCaprio mental schon ein Eisblock auf der Tür. Klartext: Die Sache war nicht mehr zu stoppen. Noch ehe ich sämtliche Ausweichmanöver im kaputten Hirn durchgespielt hatte, waren die Würfel schon gefallen. Alea iacta est, wie der moderne Lateiner sagt! Und ehe ich mich versah, fuhr die gute Frau mich mit dem Rollstuhl ins Badezimmer, damit ich mich mal im Spiegel angucken konnte. Wenn es nicht so verdammt beschissen deprimierend gewesen wäre, hätte ich diesen Anblick mit ordentlich Alkohol und im Spiegelkabinett einer Jahrmarktsbude vielleicht sogar lustig gefunden: Fast Glatze, der Kopf noch etwas geschwollen und die rechte Schläfe wegen der fehlenden Schädelplatte irgendwie komisch eingeknickt … Das bin nicht wirklich ich, dachte ich fassungslos. Blanker Horror, nacktes Entsetzen. Wo war »ich« bloß geblieben? Und wer war diese Frankensteinbraut da im Spiegel? Ich war so entsetzt und … und irgendwie … ich kann es nicht anders beschreiben … so erschrocken und gedemütigt. Am Boden zerstört. Alles hatte dieser verfluchte Schlaganfall mir genommen. Die Macht über meinen Körper, meine Selbständigkeit. Meinen Stolz. Mein bisheriges Leben. Und jetzt auch noch meine Würde. Ich sah aus wie ein Freak. Und nicht wie eine hübsche Frau. Ich fühlte mich erniedrigend und unendlich traurig. Wehrlos und zutiefst verletzt. Als wenn ich meine Identität verloren hätte. Schnell die Alarmklingel! »Bitte, Schwester – kommen Sie schnell! Da ist ein fremder Mensch in meinem Spiegel und behauptet, er wäre ich.«
Von wegen. Leider war es schnöde Wirklichkeit. Und trotzdem kam es mir Minuten später gleichzeitig aber auch wieder so komplett unwirklich vor! Da kam ich mir eher so vor wie in einem schlechten amerikanischen Krimi: »Okay, Frau Köster. Wir nehmen Sie in unser Zeugenschutzprogramm auf und besorgen Ihnen eine neue Identität, Schätzchen!« Ne, komm … vergiss es! Hustekuchen, auf Kies gefurzt. Das war schon echt ein harter Schluck aus der Pulle! Und nicht nur für mich, auch für meine Besucher.
Das war anfangs sehr irritierend mit dem Besuch, denn die Menschen sahen mich oft mit einer Mischung aus Entsetzen, Mitleid und Faszination an und hatten dann oft Tränen in den Augen. Ganz am Anfang, also direkt nach dem Koma habe ich das nicht so gut verstanden, weil ich ja nicht wusste, was eigentlich passiert war und wie sehr ich in Lebensgefahr schwebte! Und dass ich nicht gerade strahlend schön wie Barbie zurechtgemacht und mit teurer Udo-Walz-Frisur im Krankenbett lag, hatte sich mir auch nicht direkt erschlossen bis zum erwähnten Spiegelbesuch. Nun konnte ich endlich die Unsicherheit in manchen Besucheraugen verstehen.
Mein lieber Freund Till besuchte mich Ende März mit seiner Frau Claudia und seiner knapp dreijährigen Tochter Zita. Natürlich kannte Zita mich von meinen häufigen Besuchen und hatte mich das letzte Mal circa drei Wochen vor dem Schlaganfall gesehen. Aber ich sah ja jetzt eher aus, als ob Rocky statt auf gefrorenen Schweinehälften mit meinem Gesicht weiter trainiert hätte! Nicht nur Till und Claudi, auch ich hatte großen Bammel vor der Reaktion der Kleinen. Würde sie schreiend aus dem Zimmer rennen? Heulen? Angst bekommen? Als die Drei dann endlich nach der Begrüßung an meinem Bett saßen und wir Erwachsenen uns ein bisschen unterhielten, beobachtete Zita mich ausgiebig und still. Das beunruhigte wahrscheinlich die Eltern noch mehr, da die Kleine an sich ein sehr lebhaftes und quirliges Kind ist. Irgendwann fragte sie leise, aber für alle hörbar, ihre Mutter Claudia: »Ist das die Gaby?« Ich sagte: »Ja, kleiner Schatz, ich bin die Gaby! Du erkennst mich nicht wieder, ne? Wie denn auch, ich erkenne mich ja selber nicht mehr wieder!« Das war echt ein sehr emotionaler Moment, und wir hatten alle Tränen in den Augen. Zita war jedoch mit meiner Aussage zufrieden und beschloss, mit mir ganz normal zu reden, bei mir aufs Bett zu klettern und den Besuch zu genießen – nicht zuletzt auch wegen der leckeren Süßigkeiten, die ich ihr zuschob!
Tills Tochter ist wirklich ein sehr aufgewecktes, kleines Mädchen, und sie hat mir auf diese ehrliche, unverdorbene Kinderart sehr viel Mut gemacht. Zum einen mir einfach einzugestehen, wie fremd ich mir
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