Ein Schnupfen hätte auch gereicht. Meine zweite Chance
Und dann registrierte ich, dass auf dem Namensschild der Schwester ja auch ihr Beruf steht: Altenpflegerin! Ich dachte nur: Oho, aha, so ist das also! Jetzt ist es soweit!
Und das ist ja nur ein Aspekt von vielen! Es geht noch viel simpler! Am Anfang, nach dem Koma habe ich Leuten oft stolz erzählt, dass ich heute schon zwei Stunden alleine »geatmet« hätte! Jaja. Wenn man so gesund vor sich hinlebt, schenkt man dem eigentlich schon ziemlich lebensnotwendigen Atmen nur wenig Beachtung. Es funktioniert ja einfach. Doof ist nur (gerade beim Atmen), wenn es nicht mehr funktioniert! In solchen Augenblicken wurde mir mehr als nur deutlich bewusst, dass nichts mehr so war, wie es mal war, und dass es auch nie mehr wieder so werden wird, wie es mal war.
Da soll man keine Depressionen bekommen? Leider ist einem gesunden, normalen Menschen auch gar nicht klar, wie wenig behindertengerecht deutsche Städte sind. Es gibt immer noch unzählige Einkaufszentren ohne elektrische Türöffner, an denen ich ohne Hilfe scheitern würde. Will man keine Rollstuhlfahrer in diesen Einrichtungen? Brauchen die unser Geld nicht? Gibt es eigentlich mehr hohe Bürgersteigkanten als niedrige, und wenn ja, warum? Wie sollte denn um Himmels willen der Alltag nach meiner Entlassung aussehen? Wie sollte ich den denn ohne Hilfe meistern? Tausend Fragen, tausend Ängste und nur wenig ruhiges Fahrwasser. Wenn Sie jetzt zu Recht denken: Mein Gott, die Köster kommt ja von Hölzken auf Stöckchen, und brettert zusammenhanglos von einem Thema ins nächste – ich werde noch verrückt beim Lesen … ja, dann kriegen Sie vielleicht eine leise Ahnung von dem Chaos, das damals oft wie ein besoffener Tsunami durch mein verwüstetes Hirn bretterte. Holen Sie sich mal ’nen Kaffee und machen fünf Minuten Pause. Ich muss auch eben mal durchlüften!
Reggae in der Rehaklinik
In der Klinik habe ich oft – weil ja auch nichts anderes ging – Musik gehört und versucht, die Gedanken in meinem kaputten Hirn wieder ordentlich einzusortieren. Dabei bin ich auf ein Lied gestoßen, das einen wunderbaren Text hat und voller Klugheit ist. Manchmal habe ich dieses Lied immer und immer wieder gehört und mich gefragt, ob dieser Mann das Lied für mich geschrieben hat. Weil es wie die berühmte Faust aufs Auge, auf meine Situation passte. Geradezu gespenstisch gut passte: »Never gonna be the same« von Sean Paul. Da singt der gute Mann im Refrain:
Say when mi look up ina mi life its plain to see.
That its never gonna be the same.
Take another step on towards my destiny.
But the memories still remain.
Deep ina mi brain inna mi soul I hold the key.
Said its never gonna be the same.
Wie wahr: »Wenn ich mein Leben betrachte, wird es nie wieder dasselbe sein. Ein weiterer Schritt in meine Bestimmung, aber die Erinnerungen werden bleiben. Tief in meinem Hirn, in meiner Seele halte ich den Schlüssel zu der Erkenntnis, die mir sagt, dass es niemals wieder so sein wird.«
Wie einfach doch die Wahrheit sein kann. Ein paar weise Zeilen in einem kleinen, netten Reggaesong. Drei Minuten und ’n paar Zerquetschte lang! Never gonna be the same! Das war mir schon klar, dass mein Leben nicht mehr so sein würde, wie es mal war. Das Blöde ist nur, dass ich auch leider nicht weiß, wie es denn sein würde. Was würde sich ändern? Alles? Wie scheiße ist das denn? »Wenn dem so ist«, hörte ich meinen Schweinehund sagen, »habe ich aber mal gar keinen Bock drauf! Nö, komm! Nicht › ALLES ‹! Kinder, das muss ja wohl nicht sein, oder? Kleiner Kompromiss zur Güte – ich lege mich ein paar Wochen hierhin, und dann ist es auch gut, ne? Dann werde ich hier wieder rausgehen, und alles ist wieder im Lack!« Und da musste ich meinem Schweinehund leider Recht geben. Ich habe wirklich oft gedacht: Rollstuhl und so n’ Mist braucht doch kein Mensch. Ich mache Stand-up-Comedy, wie stellt ihr euch das vor? Soll ich mit dem Rolli auf die Bühne fahren?
Ich war immer jemand, für den eine physische Präsenz ganz wichtig in der Gestaltung eines Programms war. Aber gegen mich ist ja selbst Käpt’n Ahab noch der reinste Zappelphilipp! Selbst ’ne Weinbergschnecke hat mehr Elan als ich. Es ist wirklich wahnsinnig schwer, das Gute zu finden in meiner Situation. Weil ich schlicht und einfach Angst vor der Zukunft habe. Es ist kein Land in Sicht, aber jede Menge »Land unter« um mich herum. Werde ich je wieder laufen können? Werde ich je wieder meinen Arm bewegen können?
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