Ein Schnupfen hätte auch gereicht. Meine zweite Chance
schweren Schlaganfall erlitten hatte! Ich dachte: Was geht denn jetzt ab? Hat Weißkittelchen zuviel Sagrotan geschnüffelt? Ist Dr. Mabuse unter die Märchenerzähler gegangen? Sind die alle pikloppt hier? Wie jetzt Schlaganfall? Das kriegen doch nur alte Menschen, neunzigjährige Nachbarn oder senile Omis!?!? Ich konnte es nicht fassen! Ich war doch höchstens ein bisschen unglücklich hingefallen! Was labern die denn alle hier?
Und so musste ich leider sehr schmerzlich Schritt für Schritt selber nachvollziehen, was mit mir und meinem Körper geschehen war. Sehr deprimierend, das! Eines Tages kam mich der Professor besuchen, der mich am Anfang in der Akutklinik behandelt hatte. Ich habe von ihm noch mal und sehr detailliert viele Sachen erfahren, die mir so richtig nicht klar waren. Ich habe sehr lange in akuter Lebensgefahr geschwebt, und es war völlig unklar gewesen, ob ich überhaupt durchkommen würde! Die Ärzte hatten wohl einmal bei Schichtwechsel an meinem Bett gesessen und auf mein Leben keinen Pfifferling mehr gegeben! Ich denke, dass ich schon ziemlich weit weg gewesen war, sonst hätte ich bestimmt nicht meinen Papa gesehen. Aber die da oben haben sich bestimmt gesagt: »Nix Wiedergeburt, so ’ne verrückte Schachtel wie dich reicht einmal! Du machst erst mal auf dem Planeten schön weiter, dein Vertrag wird einfach verlängert!!!« Schon klar, lieber Herr Gott! Und was das »einfach« betrifft … sieht eher nicht so aus, als ob in Zukunft irgendetwas besonders einfach gehen würde. Weiß Gott nicht!
Eine Therapeutin fragte mich eines Tages, ob ich mich nach der Operation schon mal im Spiegel gesehen hätte. Ich sagte nein. Ich hatte zwar schon mit der Hand mein rappelkurzes Haar befühlt, aber wie ich nach dem ganzen Driss im gesamten Gesicht aussehen würde, war mir nicht klar. Die Frage hatte sich mir auch gar nicht aufgedrängt, um ehrlich zu sein! Was natürlich so auch nicht stimmt. Ich hatte diesen Aspekt einfach komplett verdrängt. Ignoriert. Wie ein kleines Kind im kalten Wasser die Kälte ignoriert, weil es so begeistert beim Planschen ist. Weil es davon gar nicht genug bekommen kann und es Angst hat, dass es so schnell nicht wieder dazukommen wird, so unbeschwert zu toben. Mein Gott, wie oft habe ich das bei meinem Sohn damals bewundert: Wie er mit frostblauen Lippen im Wasser wie ein Hündchen paddelte und vor Kälte schon mit dem Kiefer im Rhythmus mitklapperte. Und dann habe ich als gute Mutter wie tausend andere gute Mütter natürlich gerufen: »Donald, jetzt kommst du aber raus da, du klapperst ja schon vor Kälte so laut wie ein Skelett im Würfelbecher!« Worauf der kleine Mann natürlich wie tausend andere Kinder prompt folgende Platte abspielte: »Mi-mmi-mmimir ist aber gar nicht kalt! Gar nicht überhaupt jawohl nicht!« Ja, ne, is klar! Das Wasser hat die Lippen blau gefärbt, natürlich. Gott, ist die Mami wieder dumm! Kalt! So ein Quitschiquatschi. Alles klar, oder? So sind Kinder. Wir müssen sie als Eltern davor schützen, zu lange im Wasser zu bleiben. Nicht bei Kälte ohne Jacke loszugehen. Nicht drei Eisbecher hintereinander wegzuschlabbern. Nicht weil sie irgendwie nicht selber ahnen, dass das vielleicht doch keine gute Idee wäre. Es ist eher die Vernunft, die fehlt. Die ignoriert wird. Der Verstand, die Ratio siegt einfach noch zu selten über die Lust, die Unvernunft oder die Ignoranz.
Und genauso war es auch bei mir. Was mein Aussehen nach all den Operationen am Kopf betraf, habe ich einfach nach der Devise behandelt: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Obwohl mir meine Fingerspitzen beim Befühlen meiner Kopfhaut natürlich eine ganz andere Botschaft übermittelt hatten. Nicht zu vergessen: meine Angst. Meine große Angst vor einem Bild, das mir nicht gefallen würde, ich aber leider auch nicht umtauschen könnte. Ich müsste es akzeptieren. Und diesen ganzen dämlichen Schlaganfall und die damit verbundenen Konsequenzen zu akzeptieren, war sowieso ein einziger Albtraum – ohne Hoffnung auf Licht am Ende des Tunnels. Oder sagen wir es mal lieber so: Das Licht am Ende des Tunnels war in meinen Augen eher ein Zug, der mir entgegenkam. Diesem latenten Horrortrip wollte ich wohl weder bewusst noch unbewusst weiteres Futter geben. Allerdings waren jetzt aber mal leider auch die schlafenden Hunde geweckt worden, und ihr ohrenbetäubendes Bellen in meinem geplagten Schädel ließ mich immer vehementer ahnen, dass da nix Gutes im Anmarsch war. »Nix
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