Ein Schnupfen hätte auch gereicht. Meine zweite Chance
Meine Finger? Wird mein Gehirn sich von dem Schlag erholen? Werde ich jemals wieder meine geliebte Unabhängigkeit erlangen? Die Kontrolle über meinen Körper zurückbekommen? Was ist, wenn die Mum stirbt und Donald mich verlässt, um sein eigenes Leben zu leben? Was wird aus mir? Komm ich in ein Heim? Wie soll ich überhaupt Geld verdienen? Müssen wir dann Haus und Hof verkaufen? Werde ich einen Rückfall kriegen? Einen noch schlimmeren Schlaganfall, der aus mir einen dahinvegetierenden Sabberlappen an Schläuchen macht? Wer kann mir garantieren, dass ich nicht alleine in einem Heim verschimmeln werde? Ach so, richtig! Think positive, Gaby! Genau! Sei nicht immer so negativ. Du musst auch mal die andere Seite des Schwertes sehen. Ying und Yang! Schatten und Licht! Sei doch nicht immer so ein fürchterlicher Schwarzmaler, Frau Köster! Von wegen armer King Kong! Freu dich doch lieber, du Affe, dass du kurz vorm Abnippeln noch mal auf so ein schönes Gebäude wie das Empire State Building geklettert bist und mit ein paar Flugzeugen spielen durftest! So wird doch auch ein Schuh draus.
Jaja. Es gibt tausend gute Gründe, sich über dieses Leben auch zu freuen. Schade nur, dass einem manchmal keiner einfällt. Schwierige Sache, das. Vor allem, wenn man immer wieder einen Song hört, der sich nicht aus dem Kopf kloppen lässt: »Never gonna be the same.«
Und so kam es, wie es in meinem Fall wohl auch erst mal kommen musste: Am Anfang war das Leben im Krankenhaus wirklich sehr deprimierend. Ich hasste am meisten die Hilflosigkeit, dass ich im wahrsten Sinne für jeden Scheiß fragen musste! Nicht nur, dass man seine Intimsphäre schon praktisch mit dem Einstieg in den Notarztwagen de facto abgegeben hat – man kann am Anfang auch gar nicht glauben, was einem so alles Peinliches zustoßen kann. Ich habe mal nachts nach einer Schwester geklingelt, weil ich Pippi machen musste. Ich habe sechs Stunden gewartet und »ich hab sie alle gezählt und verflucht« (Vielen Dank an Rio Reiser für diese tolle Beschreibung!) Am Ende habe ich natürlich voller Verzweiflung alternativlos ins Bett gepinkelt. Wobei man wahrscheinlich der Schwester noch nicht mal einen Vorwurf machen kann, denn nur
eine
Nachtschwester für die ganze Station ist vielleicht auch nicht gerade eine gute Idee. Ins Bett pinkeln war aber auf jeden Fall nicht unbedingt etwas, was ich mit siebenundvierzig Jahren noch auf der »To-Do-Liste« hatte.
Nicht, dass wir uns da falsch verstehen: Ich war vor dem Schlaganfall ein sehr aktives und selbständiges Menschenwesen gewesen, und danach war ich so beweglich wie der halb verdaute Ötzi im Gletscherkühlschrank! Das macht mir seelisch wirklich sehr zu schaffen, und oft fühle ich mich einfach nur todtraurig, obwohl ich ja sehr froh bin, dass ich überhaupt so frisch im Kopf überlebt habe. Diese unterschiedlichen Gemütszustände jagen mir an schlechten Tagen zwanzigtausend Mal durch die Hirnrinde und machen mich manchmal echt wahnsinnig! Ich kann oft wirklich einfach nicht glauben, dass ich nicht mehr laufen kann. Sehr komisch, das alles. Zum Verrücktwerden.
Anfang Februar zog ich dann in die Rehaklink um. Wegen der Arschgeigen von der Boulevardpresse, die schon auf allen legalen und moralisch unwürdigen Wegen versucht hatten, mir aufzulauern, nannte man mich »Frau Peters«. Sonst werden die Promis auch gerne mal »Meyer« genannt, aber es waren schon zu viele echte Meyers gemeldet. In der Rehaklinik habe ich mich auch eigentlich sehr wohl gefühlt, bis auf die eine oder andere Situation. »Meine« Station war sehr angenehm. Die Schwestern waren sehr nett. Auf der Station gab es auch viele arabische Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma, junge Leute, die mit 600 PS durch die Wüste geballert waren und dann leider vom Motor-Kamel geflogen sind. Da Arabisch nicht mal meine dritte Fremdsprache nach Kölsch und Englisch ist, versuchte ich, mich mit Englisch durchzuschlagen, was jedoch auch nicht zwangsläufig zu einer flüssigen Unterhaltung führte.
Vorher, auf der Intensivstation im Krankenhaus, hatte ich bereits ein bisschen Rehatraining gehabt. Ich sollte immer auf der Bettkante sitzen üben, aber ich hatte das nicht gekonnt und bin immer wieder umgekippt. Ich musste auch im Rollstuhl sitzen lernen … »Sitzenlernen«, das kam mir genauso sinnvoll vor, wie Free Willy das Brustschwimmen fürs Seepferdchen-Abzeichen abzunehmen!
Kleine Episode noch zum Thema Rollstuhl: Als schon früh im Krankenhaus
Weitere Kostenlose Bücher