Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)
vollgestopft war und ich zwei gesunde Beine und Arme hatte, machte ich mich daran, meine Sachen selbst zu tragen. Auf der Suche danach, holte ich ein Gepäckstück nach dem anderen hervor, das mir augenblicklich vom Hauspersonal förmlich aus den Händen gerissen wurde.
Als ich endlich meinen eigenen Rollkoffer herauszog, stand auf einmal Ryan neben mir. „Was wird das?“, fragte er und betrachtete stirnrunzelnd mein Tun. Neben ihm stand ein schmächtiger junger Mann, der den gleichen Gesichtsausdruck trug.
„Was meinst du?“, fragte ich.
„Du musst dich nicht mit dem ganzen Gepäck beladen, Jo. Michael hier wird dir sicher helfen.“
„Ach was, das geht schon“, winkte ich ab, schulterte meinen Rucksack, griff nach dem Rollkoffer und hängte mir Handtasche und Laptop um. Als die beiden jedoch keinen Zentimeter von meiner Seite wichen, blickte ich entnervt auf. „Was ist?“
„Stell dich auf ein Bein und sag: ‚Peter Piper picked a peck of pickled peppers.’“
„Warum?“
„Weil ich sehen will, wie schnell du außer Atem gerätst.“
„Peter Piper picked a p-p-pe…“ Ich fing an zu lachen.
„Siehst du?“, sagte Ryan. „Dein Zimmer befindet sich dort oben.“ Er zeigte mit dem Daumen irgendwo in Richtung Dach. „Gib mir deinen Rucksack, Jo! Michael? Nimmst du ihren Rollkoffer?“
„Natürlich, Sir!“, sagte dieser dienstbeflissen.
Ich funkelte Ryan noch einen Moment lang an.
„Hier gibt’s keinen Fahrstuhl, Jo“, betonte er drohend.
„Okay, ihr habt gewonnen!“, rief ich und ließ den Rucksack zu Boden gleiten.
Als ich endlich in meinem Zimmer angelangt war, war ich heilfroh. Ich hatte die Stufen zwar nicht gezählt, aber bei dem Gedanken, diese öfter hinauf- und hinabklettern zu müssen, wurde mir schwindlig.
„Mein Zimmer ist gleich neben deinem“, sagte Ryan und stellte meinen Rucksack vor einem großen, antiken Holzschrank ab. „Lucas’ und Finns Zimmer sind auf der anderen Seite. Sie haben eine Verbindungstür.“
„Und das soll gutgehen?“, fragte ich, setzte mich erschöpft auf einen Stuhl und pustete mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Das wird schon. Alles okay mit dir?“
„Klar doch!“, meinte ich. „Und zu deiner Information – ich hätte es auch mit Rucksack und Koffer hier herauf geschafft.“
„Aye, sicher“, sagte er und strich mir mit der Hand die störrische Strähne erneut aus dem Gesicht. Als er hinausging, pfiff er ein Liedchen vor sich hin. Wir hatten „Annie Get Your Gun“ in der zwölften Klasse aufgeführt. Ich kannte das Lied.
Alles, was du kannst, kann ich viel besser …
Das hier war definitiv keine Dachkammer. Sie befand sich zwar unter dem Dach, aber das war auch schon alles. Es gab zwei Fenster, ein etwas größeres und ein kleines, das in einem dieser Spitztürmchen eingelassen war, die ich vom Wagen aus schon gesehen hatte. Vor diesem Fenster befand sich ein stufenförmiger Unterbau, so dass man wie auf einer Fensterbank sitzen und hinausschauen konnte.
Eine Seite des Raumes war mit Stofftapeten in dunkelroten Tönen bedeckt, wo auch ein pompöses Himmelbett aus dunklem Holz stand, dessen Draperien denselben Farbton aufwiesen. Ich hatte noch nie in so einem Bett geschlafen. Die anderen Wände des Zimmers bestanden aus blankem Ziegelwerk und waren mit silbernen Wandlampen, Gobelins und Gemälden geschmückt. Gegenüber vom Bett war ein Kamin in der Wand eingelassen, in dem ein gemütliches Feuerchen brannte, und daneben stand ein robuster kleiner Holzhocker. Vor dem Kamin lag ein dicker Teppich, auf dem ein farbenfroher Sessel nebst passendem Fußbänkchen plaziert war. Die Beine des Sessels waren allerdings so verschnörkelt und grazil, dass ich ihre Standfestigkeit bezweifelte. Rechts befanden sich ein wunderschöner Sekretär mit Aufsatz und eine Stehlampe mit riesigem, seidenem Schirm und auf der anderen Seite eine Kommode. Jedes einzelne Möbelstück in diesem Zimmer sah aus, als hätte man es aus einem Museum entnommen. Als ich den Kopf hob, sah ich, dass die Zimmerdecke weit in das Dach hineinragte und von dunklen Holzbalken durchzogen war. „Euer Gemach, Mylady!“, murmelte ich, und Vorfreude machte sich in mir breit.
Während die Jungs mit Hilfe des Personals unser Equipment in einen eigens dafür vorgesehenen Raum schafften, hängte ich meine Sachen in den Schrank und blickte nebenher aus dem Fenster. Die Aussicht war atemberaubend. Vor meinen Augen breitete sich eine Bergkette aus, und zwischen den im
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