Ein Schritt ins Leere
scherzte, lachte, erzählte Histörchen und sprühte vor Lebendigkeit. Allzu sehr sprühte er, fand Frankie. Diese Lebendigkeit war ebenso unnatürlich wie sein Benehmen am Nachmittag und passte ebenso wenig wie jenes zu Henry Bassington-ffrench.
Er hat so sonderbare Augen, wunderte Frankie sich. Sie erschrecken mich ein wenig.
Aber dessen ungeachtet hielt sie ihn nicht für irgendwie verdächtig. Es war ja nicht er, sondern sein Bruder, der an dem verhängnisvollen Tag in Marchbolt gewesen war. Was den Bruder betraf, so erwartete ihn Frankie mit kaum bezwingbarer Neugier. Nach ihrer und Bobbys Ansicht war der Mann ein Mörder! Mit einem Mörder würde sie am selben Tisch sitzen und plaudern!
Zeitweilig beschlich sie ein Gefühl der Bangigkeit.
Doch wie sollte er schließlich etwas erraten? Wie konnte er ihr Hiersein mit einem erfolgreich durchgeführten Verbrechen in Verbindung bringen?
Roger Bassington-ffrench kam am folgenden Nachmittag an, und Frankie machte seine Bekanntschaft nicht sofort, weil sie sich in ihrem Zimmer befand – angeblich, um zu ruhen.
Als sie auf den Rasen, wo der Tee serviert wurde, hinaustrat, sagte Sylvia lächelnd: «Das ist unser Invalide, Roger. Mein Schwager – Lady Frances Derwent.»
Frankie sah einen großen, schlanken jungen Mann mit vergnügten Augen vor sich. Obwohl sie begriff, was Bobby gemeint hatte, als er sagte, Roger fehle ein Monokel oder ein Schnurrbart, neigte sie mehr dazu, das tiefe Blau seiner Augen zu registrieren. Dann schüttelten sie sich die Hände.
«Man hat mir schon von Ihrem Versuch, die Parkmauer niederzulegen, berichtet.»
«Ich will zugeben, dass ich die schlechteste Fahrerin der Welt bin», erwiderte Frankie. «Doch ich steuerte einen grässlichen alten Seelenverkäufer. Mein eigener Wagen wird gerade überholt, und als vorübergehenden Ersatz kaufte ich ein Auto aus zweiter Hand.»
In diesem Moment kam Tommy herbeigelaufen und stürzte sich mit einem Freudengeheul auf seinen Onkel.
«Hast du mir eine Eisenbahn mitgebracht? Du hast es mir versprochen, Onkel Roger. Du hast es mir ganz fest versprochen», sagte Tommy.
«O Tommy, wer wird wohl so betteln!», verwies Sylvia ihn.
«Lass ihn», gab ihr Schwager zur Antwort. «Ich hab’s ihm wirklich versprochen. Also, kleiner Mann, die Eisenbahn ist da. Nachher bekommst du sie.» Nun wandte er sich abermals an die Hausherrin. «Trinkt Henry den Tee nicht mit uns zusammen?»
«Ich glaube, nein. Mir scheint, er fühlt sich heute gar nicht wohl.» Sylvia Bassington-ffrench seufzte tief. «O Roger, ich bin so froh, dass du wieder zurück bist!», stieß sie jäh hervor.
Roger legte sekundenlang seine Hand auf ihren Arm.
«Ich bin immer da, wenn du mich brauchst, Sylvia.»
Nach dem Tee spielten er und Tommy mit der neuen Eisenbahn. Frankie sah ihnen zu, von Zweifeln gequält.
Bestimmt war dies nicht der Mensch, der andere heimtückisch in den Abgrund stürzte! Dieser sympathische junge Mann konnte keinen kaltblütigen Mord verübt haben!
Aber dann… waren sie und Bobby auf der falsche Fährte.
Nein, nein, Roger Bassington-ffrench hatte Pritchard bestimmt nicht die Klippen hinuntergestoßen.
Doch wer war der Täter?
Dass Pritchard gestoßen worden war, stand für sie nach wie vor fest. Aber wer hatte es getan? Und wer hatte das Morphium in Bobbys Bier geschüttet?
Bei dem Gedanken an Morphium drängte sich ihr plötzlich die Erklärung für Henry Bassington-ffrenchs eigenartige Augen mit den winzigen Pupillen auf.
Sollte Sylvias Gatte etwa Rauschgift nehmen…?
13
S eltsam genug – schon am nächsten Tag erhielt sie eine Bestätigung ihres Verdachts, und zwar durch Roger. Sie hatten zusammen Tennis gespielt und nippten jetzt, in bequemen Korbstühlen sitzend, an ihrer Limonade.
Das Gespräch streifte bald diesen, bald jenen belanglosen Gegenstand, und mehr und mehr empfand Frankie den Zauber eines Menschen, der wie Roger Bassington-ffrench die ganze Welt bereist hatte. Der Familientunichtgut, dachte sie, unterschied sich sehr vorteilhaft von seinem schwerfälligen, ernst veranlagten Bruder. Jetzt trat eine Pause ein, und als Roger wieder das Wort ergriff, sprach er in gänzlich anderem Ton.
«Lady Frances», sagte er, «ich kenne Sie erst seit vierundzwanzig Stunden, aber ich fühle instinktiv, dass Sie die Frau sind, von der ich einen Rat erbitten kann.»
«Einen Rat?»
«Ja. Ich bin mir nicht klar über den Weg, den ich einschlagen soll.»
Er hielt inne. Vornübergeneigt, ließ
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