Ein Schritt ins Leere
er seinen Schläger zwischen den Knien hin und her pendeln, und eine senkrechte Furche stand auf seiner Stirn.
«Es handelt sich um meinen Bruder, Lady Frances.»
«Ja?»
«Er nimmt Morphium oder irgendein anderes Rauschgift. Ich bin mir dessen sicher.»
«Was veranlasst Sie, das zu glauben?»
«Alles. Sein Aussehen. Seine ungewöhnlichen Stimmungswechsel. Und haben Sie seine Augen gesehen? Die Pupillen sind klein wie Stecknadelköpfe.»
«Ja, das ist mir allerdings aufgefallen.»
«Morphium oder irgendein anderes Opiat muss es sein.»
«Seit wann ist er dem Gift verfallen?»
«Vermutlich seit ungefähr sechs Monaten. Ich erinnere mich, dass er über Schlaflosigkeit klagte. Über unerträgliche Schlaflosigkeit. Damals wird es wohl angefangen haben.»
«Und wie verschafft er es sich?», fragte Frankie.
«Wenn ich mich nicht irre, erhält er es durch die Post. Haben Sie nicht bemerkt, wie reizbar und nervös er bisweilen an gewissen Tagen zur Zeit der Teestunde ist?»
«O ja.»
«Ich vermute, dass sich diese Nervosität einstellt, wenn sein Vorrat erschöpft ist und er auf Nachschub wartet. Sobald dann gegen sechs die Nachmittagspost eintrifft, geht er in sein Zimmer und kommt zum Dinner in total veränderter Stimmung zum Vorschein.»
Frankie nickte. Ja, sie erinnerte sich jener unnatürlichen Lebendigkeit.
«Aber woher kommen die Sendungen?», warf sie hin.
«Das weiß ich nicht. Kein anständiger Arzt würde ihm das Gift verschreiben. Es gibt aber fraglos in London dunkle Bezugsquellen – sofern man einen hohen Preis zahlt.»
Plötzlich fiel Frankie ein, dass sie Bobby gegenüber etwas von einer Bande von Rauschgiftschmugglern hatte verlauten lassen. Wie sonderbar, dass sie bei ihren Nachforschungen so rasch auf eine derartige Spur stieß…1 Sonderbar war allerdings auch, dass der Hauptverdächtige sie darauf aufmerksam machte. Und dieser Umstand bestärkte sie darin, Roger Bassington-ffrench von der Anklage des Mordes freizusprechen.
Nichtsdestoweniger blieb der unerklärliche Tausch der Fotografie. Das Beweismaterial gegen ihn bestand also nach wie vor, ermahnte sie sich. In die andere Waagschale konnte man nur die Persönlichkeit des Mannes werfen. Und hieß es nicht, dass Mörder sehr oft bestrickende Leute seien?
«Warum erzählen Sie mir das eigentlich?», fragte sie ihn.
«Weil ich nicht weiß, wie ich mich Sylvia gegenüber verhalten soll», erwiderte er schlicht.
«Sie meinen, dass sie ahnungslos ist?»
«Selbstverständlich ist sie ahnungslos. Soll ich ihr die Augen öffnen?»
«Es ist schwer – »
«Ungeheuer schwer», fiel er ihr ins Wort. «Deshalb möchte ich ja Ihren Rat. Sylvia hat eine große Zuneigung zu Ihnen gefasst. Aus den Leuten rundherum macht sie sich nichts, aber Sie haben ihr gleich gefallen. Was soll ich tun, Lady Frances? Sie aufklären heißt ihr eine riesige Sorge aufbürden.»
«Aber vielleicht könnte sie Ihren Bruder beeinflussen», gab Frankie zu bedenken.
«Das bezweifle ich. Bei einem Süchtigen versagt jeder Einfluss, und käme er auch von dem liebsten, teuersten Menschen. Wenn Henry doch nur in eine Entziehungskur einwilligen würde! Wir haben ganz in der Nähe eine entsprechende Anstalt, die von einem Dr. Nicholson geleitet wird.»
«Vielleicht willigt Ihr Bruder ein.»
«Vielleicht. Die Hauptsache ist, den richtigen Moment zu erwischen – den Moment, in dem den Morphiumsüchtigen selbst Gewissensbisse packen. Ich glaube, dass Henry leichter einwilligen würde, wenn er denkt, Sylvia wisse von nichts… wenn man ihm damit drohen könnte, es ihr zu eröffnen. Hat die Kur, die unter dem Etikett Nervenbehandlung laufen könnte, Erfolg, so braucht meine Schwägerin die bittere Wahrheit möglicherweise gar nicht zu erfahren. Nicholsons Anstalt liegt ungefähr drei Kilometer von hier entfernt, auf der anderen Seite des Dorfes. Nicholson ist Kanadier, glaube ich, und ein sehr tüchtiger Mann. Außerdem haben wir das Glück, dass Henry ihn mag… Pst! Da kommt Sylvia.»
«Habt ihr sehr viel Energie bewiesen?», fragte Mrs Bassington-ffrench, als sie bei ihnen anlangte.
«Drei Spiele. Und dreimal wurde ich besiegt», gab Frankie Bescheid.
«Sie spielen trotzdem sehr gut», sagte Roger.
«Ich bin schrecklich träge beim Tennis», gestand Sylvia lachend. «Wir wollen an irgendeinem Tag mal die Nicholsons herüberbitten. Moira spielt leidenschaftlich gern. Was gibt es?», forschte sie erstaunt, da sie den Blick, den die beiden wechselten, aufgefangen
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