Ein Schritt ins Leere
Wunderlichkeiten meiner Hausgenossen angesteckt worden.»
«Nein», versicherte der junge Mann abermals. «Bitte, bitte, sprechen Sie.»
Sie entzog ihm die Hand, setzte sich kerzengerade hin und stierte auf die Wand. «Ich fürchte, ermordet zu werden», beichtete sie mit sichtlicher Überwindung.
«Ermordet?»
«Nicht wahr, das klingt verrückt? Verfolgungswahn, wie?»
«Wer will Sie ermorden, wer?»
Ein oder zwei Minuten blieb sie stumm, die Hände im Schoß verkrampft.
«Mein Mann», hauchte sie endlich.
«Ihr Mann?» Ein Chaos von Gedanken brauste durch Bobbys Kopf. «Wer sind Sie?», forschte er plötzlich.
Ihre Augen wurden noch größer vor Erstaunen.
«Das wissen Sie nicht?»
«Nein.»
«Ich bin Moira Nicholson.»
«Dann sind Sie nicht als Patientin im Birkenhof?»
«Als Patientin? O nein!» Abermals lief eine Blutwelle über das zarte Gesicht. «Sie finden wohl, ich benehme mich wie eine solche?»
«Sie müssen mich nicht falsch verstehen oder meinen Worten eine Deutung geben, die ihnen nicht zukommt. Also Ihr Gatte ist Dr. Nicholson. Und weshalb vermuten Sie, er wolle Sie ermorden?»
«Ich lese es in seinen Augen, wenn er mich anblickt. Und außerdem haben sich sonderbare Vorfälle ereignet. Unfälle.»
«Unfälle?», wiederholte Bobby scharf.
«Ja. Nein, nein, ich bin nicht hysterisch», versicherte sie. «Sehen Sie, einmal fuhr er mit dem Wagen rückwärts, ohne angeblich bemerkt zu haben, dass ich hinter dem Auto stand. In letzter Sekunde konnte ich gerade noch zur Seite springen. Und dann war versehentlich eine gefährliche Medizin in die verkehrte Flasche geschüttet worden… Oh, lauter solche Sachen. Ich weiß, dass sie mit Absicht geschehen. Und ständig auf der Hut sein zu müssen, jede Speise, jedes Getränk mit Angst zu sich zu nehmen, das ruiniert die Gesundheit.»
«Aus welchem Grund will Ihr Gatte sich Ihrer entledigen?»
Zu Bobbys Erstaunen machte sie keinerlei Ausflüchte, sondern erklärte rundheraus: «Weil er Sylvia Bassington-ffrench heiraten möchte.»
«Wie…? Die ist doch schon verheiratet.»
«Ich weiß. Aber das wird er schon regeln.»
«Regeln! Auf welche Weise?»
«Genau weiß ich es nicht. Aber ich weiß, dass er versucht, Mr Bassington-ffrench als Patienten in den Birkenhof zu bekommen.»
«Und dann?»
«Dann wird ihm etwas zustoßen.» Sie schauderte. «Mir scheint, er hat Mr Bassington-ffrench irgendwie in der Hand.»
«Bassington-ffrench nimmt Morphium», sagte Bobby Jones.
«Ja…? Vermutlich bekommt er es von Jasper – wenn auch nicht direkt. Jasper ist viel zu schlau, um sich bloßzustellen. Wahrscheinlich weiß auch Mr Bassington-ffrench nicht, dass das Gift von Jasper stammt; aber ich bin davon überzeugt. Und wenn der Kranke erst mal im Birkenhof ist…»
Moira Nicholson hielt inne, und ihre Hände krampften sich so fest ineinander, dass die Knöchel weiß hervorstachen.
«Im Birkenhof geschehen unheimliche Dinge», fuhr sie heiser fort. «Die Leute begeben sich in Jaspers Obhut, um gesund zu werden. Aber statt bergauf geht es bergab mit ihnen…»
Während sie sprach, hatte Bobby das Gefühl, als umwehe ihn eine böse, unsaubere Luft, und er spürte etwas von dem Schrecken, der Moira Nicholsons Leben so lange verdunkelt hatte.
«Ahnt Sylvia Bassington-ffrench, was Ihr Gatte wünscht und plant?», fragte er plötzlich.
Die zarte Frau zuckte die Schultern.
«Darüber bin ich mir nicht klar. Auf den ersten Blick scheint es, als ob sie an ihrem Mann und ihrem kleinen Jungen hängt und glücklich und zufrieden ist. Doch bisweilen frage ich mich, ob sie uns allen nicht eine Rolle vorspielt – ausgezeichnet vorspielt. Vielleicht ist das aber auch Unsinn – Einbildung meinerseits. In meiner Lage wird man natürlich misstrauisch.»
«Und der Schwager? Roger Bassington-ffrench?»
«Ich kenne ihn nur oberflächlich. Er ist nett, doch ganz der Mensch, den man leicht hinters Licht führen kann. Jasper bearbeitet ihn schon, damit er seinen Bruder Henry veranlasst, sich in Jaspers Pflege zu begeben.» Plötzlich beugte Moira sich vor und packte Bobbys Ärmel. «Verhindern Sie um Gottes willen, dass er in den Birkenhof kommt!», flehte sie. «Er gerät in Todesgefahr – ich weiß es.»
Bobby Jones dachte ein paar Minuten über die ungeheuerlichen Eröffnungen nach. «Wie lange sind Sie mit Nicholson verheiratet?», erkundigte er sich schließlich.
«Etwas über ein Jahr.»
«Haben Sie niemals erwogen, ihn zu verlassen?»
«Wo soll ich
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