Ein Schritt ins Leere
Trotzdem ganz passt es nicht.»
«Wieso?»
«Mein Kind, Rechtsanwälte machen niemals persönliche Besuche. Sie verfertigen lange Schriftsätze, schicken sie dir mit der Post zu oder schreiben, du möchtest bitte in ihrem Büro vorsprechen.»
«Nun, die Anwaltsfirma, der du angehörst, weicht eben von diesen Gepflogenheiten ab», erklärte Frankie. «Warte eine Minute.»
Sie ließ ihn allein, und als sie wiederkam, hielt sie eine Visitenkarte in der Hand.
«Hier. Nimm, Bobby. Du bist ein junger Sozius der Firma Spragge – Jenkinson & Spragge, Bloomsbury Square.»
«Hast du die Firma erfunden, Frankie?»
«Bewahre! Es sind Vaters Rechtsanwälte. Und einen jungen Spragge gibt es nicht. Der einzige Spragge ist alt wie Methusalem und frisst mir aus der Hand. Wenn irgendetwas schief geht, renke ich es ohne Schwierigkeiten wieder ein. Spragge ist ein großer Snob. Er liebt Lords und Herzöge, wenn er auch wenig Geld an ihnen verdient.»
«Und die Kleidung? Soll ich Badger anrufen, damit er mir Anzug und Hut bringt?»
Lady Frances Derwent blickte unschlüssig auf das glänzend gebohnerte Parkett hinab.
«Lieber Bobby, ich will weiß Gott deine Anzüge nicht beleidigen», sagte sie zögernd. «Oder dir deine Armut unter die Nase reiben oder irgendetwas Derartiges. Aber meinst du, dass ein Londoner Anwalt von einer gut gehenden Firma Anzüge deines Marchbolter Schneiders tragen würde? Ich glaube, wir machen lieber eine Anleihe in Vaters Garderobenschrank – ihr habt ungefähr die gleiche Größe.»
Eine halbe Stunde später stand Bobby in makellosem, leidlich passendem Cut und gestreiften Hosen vor Lord Marchingtons Ankleidespiegel und musterte sich kritisch.
«Nicht übel, wie?», bemerkte er, zu Frankie gewandt.
«Nein, gar nicht übel. Den Schnurrbart wirst du wohl behalten müssen, obwohl sämtliche Anwälte meiner Bekanntschaft glatt rasiert herumlaufen.»
«Natürlich bleibt der Schnurrbart», erklärte Bobby energisch. «Er ist ein Kunstwerk und kann nicht im Nu wiederhergestellt werden. Glaubst du, Frankie, dass dein Vater auch die Freundlichkeit haben wird, mir einen Hut zu leihen…?»
17
« W enn es nun aber das Pech will, dass Mr M. R. Rivington, Onslow Square, selbst Anwalt ist?», sagte Bobby Jones, auf dem Treppenabsatz Halt machend.
«Versuch es lieber erst bei dem Colonel in der Tite Street», riet Frankie. «Jünger des Mars wissen über Rechtsanwälte weniger Bescheid.»
Infolgedessen nahm Bobby ein Taxi nach Chelsea. Colonel Rivington war nicht daheim, wohl aber seine Gattin. Das fesche Hausmädchen nahm Bobbys Karte in Empfang, in deren rechter Ecke die Worte standen: Sehr dringend!
Die Karte samt Lord Marchingtons Kleidung machten Eindruck auf das Mädchen. Es argwöhnte nicht einen Moment, dass Bobby vielleicht gekommen sei, um Miniaturen zu verkaufen oder Mr Rivington zum Abschluss einer Lebensversicherung zu überreden. Er wurde in ein schön und kostbar möbliertes Wohnzimmer geführt, wo sich kurz darauf Mrs Rivington, ebenso schön und kostbar gekleidet, einfand.
«Ich bitte die Störung gütigst zu entschuldigen, Mrs Rivington», sagte der Pfarrerssohn. «Aber die Sache drängt, und wir wollten eine Verzögerung durch den Postweg vermeiden.»
Wird sie nicht den fadenscheinigen Vorwand wittern?, fragte Bobby sich ängstlich, nachdem er diese Einleitung geschmeidig vorgetragen hatte. Doch Mrs Rivington verfügte offenbar über mehr gutes Aussehen als Hirn und nahm die Dinge so hin ; wie sie ihr dargestellt wurden.
«Nehmen Sie doch bitte Platz», erwiderte sie. «Ich erhielt gerade eben erst die telefonische Mitteilung von Ihrem Büro, dass Sie nach hier unterwegs seien.»
Bravo, Frankie!, dachte Bobby Jones. Das war ein genialer Einfall von dir! Er ließ sich in dem angebotenen Sessel nieder und trachtete, sich juristisch zu gebärden.
«Es handelt sich um unseren Klienten Mr Alan Carstairs», begann er, und zu seiner Freude flötete Mrs Rivington: «Ja?»
«Vielleicht hat er erwähnt, dass wir seine Interessen wahrnehmen?»
«Ich erinnere mich nicht genau», sagte Mrs Rivington und klimperte kokett mit ihren langen Wimpern. «Doch ist mir Ihr Name durchaus geläufig. Sie vertraten Dolly Maltravers, als sie jenen grässlichen Schneider erschoss, nicht wahr? Ich vermute daher, dass Sie auch die geringfügigsten Einzelheiten der Affäre kennen.» Und nun blickte sie ihn mit unverhohlener Neugier an.
«Wir wissen viel, sehr viel, was niemals vor Gericht zur Sprache
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