Ein Schritt ins Leere
gesehen, und mit einem kleinen, angenehmen Schauer dachte er daran, wie er den Arm um sie gelegt hatte, um sie zu stützen.
Moira… wo war sie jetzt? Was hatte dieser Unhold mit ihr gemacht? Herrgott, hoffentlich lebte sie überhaupt noch. Bobby strich vorsichtig um das Haus herum. Er sah im oberen Stockwerk mehrere erleuchtete Fenster und ein einziges helles Viereck im Erdgeschoss. Die Vorhänge waren zugezogen, doch in der Mitte klaffte ein Spalt. Entschlossen setzte Bobby den Fuß auf den vorspringenden Mauersims, packte das Fensterbrett und zog sich hoch.
Er sah die Schulter und den Arm eines Mannes, die sich bewegten, als ob er schriebe. Jetzt veränderte der Mann seine Stellung… Es war Dr. Nicholson.
Nicht ahnend, dass man ihn beobachtete, schrieb der Doktor weiter. Bobby prägte sich jeden Zug dieses Gesichts ein: das kraftvolle Profil, die große, kühne Nase, das etwas eckige Kinn. Die Ohren waren klein, flach anliegend, und die Läppchen fest mit der Wange verwachsen. Ohren mit dieser Eigentümlichkeit hatten, so erinnerte er sich dunkel, bestimmte Bedeutung. Der Doktor schrieb und schrieb – ruhig und stetig. Hin und wieder zögerte er, als suche er nach dem richtigen Wort. Dann glitt die Feder von neuem übers Papier. Einmal nahm er seine Brille ab, putzte sie und setzte sie wieder auf.
Schließlich ließ Bobby sich geräuschlos zu Boden gleiten. Wenn es ihm gelang, sich ins Haus zu stehlen, während der Doktor am Schreibtisch saß, konnte er später in der Nacht das Gebäude in aller Ruhe erforschen.
Abermals unternahm er einen Rundgang und entdeckte ein nicht erleuchtetes, aber offen stehendes Fenster im ersten Stock. Zu seiner Freude stand dicht dabei ein Baum, der das Einsteigen begünstigte.
In der nächsten Minute kletterte Bobby am Stamm empor, schwang sich von Ast zu Ast. Alles ging gut, und er streckte gerade die Hand aus, um den Fenstersims zu erhaschen, als der Ast, auf dem er herumturnte, ein unheilvolles Knacken hören ließ, abbrach und – samt Bobby – in eine Gruppe von Hortensienbüschen sauste, die den Fall abschwächten.
Das Fenster von Nicholsons Arbeitszimmer lag ein Stück weiter weg auf derselben Seite. Bobby vernahm einen Ausruf und das Geräusch eines sich öffnenden Fensters. Seiner schmerzenden Glieder nicht achtend, sprang er hoch, befreite sich aus dem Hortensiengestrüpp und rettete sich quer über einen dunklen Schattenfleck auf den Pfad, der zu dem Pförtchen führte. Eine kurze Strecke lief er darauf entlang und tauchte dann seitwärts in den Büschen unter.
Stimmen wurden laut, Lichter bewegten sich bei den zertrampelten und geknickten Hortensien. Bobby rührte sich nicht und hielt den Atem an. Vielleicht dehnten sie ihre Suche auch auf den Pfad aus, und wenn sie das offene Pförtchen entdeckten, würden sie glauben, der Eindringling habe auf diesem Weg das Weite gesucht.
Aber die Minuten verstrichen, und niemand kam. Nun stellte eine sonore Männerstimme eine Frage, die Bobby nicht verstand. Wohl aber verstand er die Antwort, in einem rauen, brummigen Bass gegeben: «Alles in Ordnung, Sir. Ich habe die Runde gemacht.» Die Geräusche verstummten, die Lichter verschwanden. Alles schien ins Haus zurückgekehrt zu sein.
Vorsichtig wagte Bobby sich aus seinem Versteck hervor. Lauschend stand er auf dem Pfad. Stille ringsum! Er machte zwei Schritte in Richtung Haus.
Und dann traf ihn aus der Dunkelheit etwas auf den Schädel. Er fiel vornüber… hinein in schwärzeste Finsternis.
27
A m Freitagmorgen fuhr der grüne Bentley vor dem Station Hotel in Ambledever vor.
Frankie hatte Bobby unter dem vereinbarten Namen George Parker telegrafiert, dass sie bei Henry Bassington-ffrenchs Leichenschau als Zeugin erscheinen müsse und ihn auf der Durchfahrt aufsuchen würde. Eigentlich hatte sie ein Antworttelegramm erwartet, aber es blieb aus.
«Mr Parker, Miss?», sagte der Hausknecht. «Ich glaube nicht, dass der Herr bei uns wohnt. Aber ich werde mich erkundigen.»
Wenige Minuten später kehrte er zurück.
«Er kam hier Dienstagabend an, Miss. Gab seinen Koffer ab und erwähnte, dass er möglicherweise erst spät in der Nacht wiederkäme. Sein Koffer ist noch da, aber er selbst hat nichts mehr von sich hören lassen.»
Frankie fühlte, wie sich alles um sie herum zu drehen begann. Ihr Gesicht war aschfahl geworden, sodass der Mann mitleidig fragte: «Ist Ihnen schlecht, Miss?»
«Nein, nein», stieß sie mühsam hervor. «Hat er irgendeine Nachricht
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