Ein Schritt ins Leere
mit dem Wagen hierher, Lady Frances? Diesmal ohne Unfall?»
Frankie hätte ihn wegen seines Lächelns erwürgen können. «Ja», erwiderte sie schneidend. «Allzu viele Unglücksfälle sind gefährlich.»
«Vielleicht überließen Sie heute Ihrem Chauffeur das Steuer?»
«Mein Chauffeur ist verschwunden, Dr. Nicholson. Er wurde zuletzt im Birkenhof gesehen.»
Der Doktor zog die Brauen hoch.
«Wirklich? Habe ich eine Attraktion unter meinem Küchenpersonal?» Es klang, als mache er sich über Frankie lustig. «Ich wüsste allerdings nicht, wer die Schöne sein könnte!»
«Auf jeden Fall wurde er dort zuletzt gesehen.»
«Mit welch dramatischer Betonung Sie das sagen, Lady Frances! Wahrscheinlich schenken Sie dem Dorfklatsch mehr Beachtung, als ihm gebührt. Ich habe auch die wildesten Gerüchte gehört. Zum Beispiel, dass meine Frau und Ihr Chauffeur sich unten am Fluss angeregt unterhalten haben sollen.» Er machte eine Pause. «Ihr Chauffeur war, glaube ich, ein sehr anziehender junger Mann, Lady Frances.»
Wie…? Will er mir einreden, seine Frau sei mit meinem Chauffeur davongelaufen? Will er darauf hinaus…?
Laut sagte sie: «Hawkins ist nicht mit den üblichen Chauffeuren zu vergleichen!»
«So scheint es!», gab Nicholson zurück. Dann wandte er sich an Roger. «Ich muss fort. Glauben Sie mir, dass ich an dem Leid, das Sie und Mrs Bassington-ffrench betroffen hat, tiefsten Anteil nehme.»
Roger begleitete ihn in die Halle hinaus, und Frankie folgte ihnen langsam. Auf dem Tisch draußen lagen ein paar Briefe, an sie adressiert. Der eine war eine Rechnung. Der andere…
Nur mit Mühe unterdrückte sie einen freudigen Aufschrei. Der andere zeigte Bobbys Handschrift.
Nicholson und Roger standen bereits auf der Schwelle der Haustür, und so riss sie den Brief auf.
Liebe Frankie,
endlich bin ich auf der richtigen Fährte. Folge mir so rasch wie möglich nach Chipping Somerton. Benutze lieber den Zug nicht den Wagen; der Bentley ist zu auffallend. In Chipping Somerton musst du zu einem Haus gehen, das Tudor Cottage heißt. Ich werde dir genau erklären, wie du es findest. Frag nicht irgendwen nach dem Weg. (Hier folgten etliche peinlich genaue Angaben.) Alles klar? Sprich zu niemandem darüber. Niema n dem! Verstanden?
Dein Bobby
Das Wort ‹niemandem› war dreimal unterstrichen.
Frankie zerknüllte das Schreiben erregt in ihrer Faust. Gott sei Dank, Bobby lebte!
Er befand sich auf einer Fährte, und zufällig auf derselben wie sie auch. Nach ihrem Besuch bei Mr Spragge war sie in Somerset House gewesen, um in John Savages Testament Einblick zu nehmen. Rose Emily Templeton war da als Erbin genannt, Ehefrau von Edgar Templeton, Tudor Cottage, Chipping Somerton. Roger Bassington-ffrench kam von der Haustür zurückgeschlendert.
«Ein interessanter Brief?», fragte er beiläufig.
Frankie zögerte. Sicherlich hatte Bobby nicht auch Roger gemeint, als er sie beschwor, niemandem etwas zu erzählen.
Dann aber erinnerte sie sich des dreimaligen Unterstreichens…
«Nein», log sie. «Durchaus unwichtig.»
Noch ehe vierundzwanzig Stunden verstrichen waren, bereute sie diese Lüge bitterlich.
Desgleichen grollte sie im Laufe der nächsten Stunden Bobby, weil er ihr verboten hatte, den Wagen zu benutzen. Chipping Somerton lag – Luftlinie – gar nicht so sehr weit von Staverley entfernt, doch musste man dreimal umsteigen, und das Warten auf den öden, kleinen Stationen war für Frankies ungeduldiges Temperament schwer zu ertragen. Indes erkannte sie die Berechtigung von Bobbys Befehl an. Der luxuriöse Bentley hätte überall Aufsehen erregt.
Es begann schon dunkel zu werden, als Frankies Zug, ein außerordentlich lahmer Zug, in den kleinen Bahnhof von Chipping Somerton schnaufte. Zudem rieselte ein beharrlicher Landregen herab.
Frankie knöpfte ihren Mantel bis zum Kinn zu, schlug den Kragen hoch, las beim Licht der Bahnsteiglampe Bobbys Brief noch einmal durch, um sich die einzuhaltende Richtung genau einzuprägen, und trabte dann los.
Zuerst bog sie von der Chaussee nach links ab und stieg einen steilen Hügel hinauf. Oben teilte sich der Weg, und Bobbys Anweisungen entsprechend, nahm sie die rechte Gabelung und sah endlich die kleine Häusergruppe des Dorfes unter sich liegen sowie geradeaus ein Fichtenwäldchen. Nach weiteren zehn Minuten gelangte sie an ein hölzernes Tor und entdeckte den Namen Tudor Cottage auf seiner Querleiste.
Frankie drückte die Klinke herunter und trat ein.
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