Ein Schritt ins Leere
geistigen Kräfte gewesen ist. Ungebührlichen Einfluss können wir ebenfalls nicht beweisen. Mr Savage enterbte keine nahen oder seinem Herzen teuren Angehörigen – seine einzigen Verwandten sind entfernte Vettern, die irgendwo in Australien leben.
Mr Carstairs behauptete nun, dass ein derartiges Testament dem Charakter Mr Savages direkt zuwiderliefe. John Savage hätte nie etwas für die organisierte Wohlfahrt übrig gehabt und stets den Standpunkt vertreten, Vermögen müsse in erster Linie den Blutsverwandten zugutekommen. Indessen fehlten Mr Carstairs für diese Behauptung dokumentarische Beweise, und überdies gab ich zu bedenken, dass die Menschen bisweilen ihren alten Grundsätzen untreu werden. Um diesen letzten Willen anzufechten, hätte man sowohl gegen Mrs Templeton als auch gegen die verschiedenen Wohlfahrtseinrichtungen vorgehen müssen. Auch war das Testament inzwischen bestätigt worden.»
«Und alles ging dabei glatt vonstatten?», forschte Frankie.
«Ich sagte bereits, Lady Frances: Mr Savages Verwandte leben nicht in England und wussten wenig über die Angelegenheit. Erst Mr Carstairs nahm sich der Sache an. Er kehrte von einer Reise ins Innerste Afrikas zurück, erfuhr die Einzelheiten und kam nach England, um zu sehen, ob nicht etwas dagegen unternommen werden könne. Ich sah mich genötigt, ihm zu erklären, dass meiner Meinung nach da nichts zu machen sei. Sei im Besitz, und du bist im Recht. Lady Frances. Und Mrs Templeton war im Besitz. Außerdem hatte sie England verlassen und lebte irgendwo in Südfrankreich. Ich schlug Mr Carstairs vor, auch die Meinung anderer Anwälte einzuholen; doch er erwiderte, dass ihm mein Urteil genüge; er begreife, dass etwaige Einsprüche sofort hätten gemacht werden müssen und es jetzt zu spät sei. Ein Mann von der Weitläufigkeit Mr Savages hätte sich eigentlich nicht so leicht von dieser Frau umgarnen lassen sollen, aber…» Traurig schüttelte Mr Spragge den Kopf und sah im Geist zahllose Klienten, die auch über allerhand Erfahrung verfügten und dennoch zu ihm kamen, um vor den Folgen begangener Torheiten gerettet zu werden.
Frankie erhob sich.
«Männer sind unglaubliche Geschöpfe», sagte sie. Dann streckte sie dem Anwalt die Hand hin. «Adieu, Mr Spragge. Ich werde nie vergessen, wie prachtvoll Sie sich gegen uns Taugenichtse benommen haben. Prachtvoll, Mr Spragge. Wirklich, Sie sind ein Engel!» Sie drückte inbrünstig seine Hand und lief hinaus.
Mr Spragge nahm an seinem Schreibtisch Platz. Er überlegte.
«Der junge Herzog von…»
Es gab nur zwei Herzöge, die infrage kamen. Welcher der beiden war es? – Und schon schlug Mr Spragge den Adelskalender auf.
26
A m Abend dieses Tages kam ein junger Mann mit Schnurrbart, in einen billigen, dunkelblauen Anzug gekleidet, in der rührigen kleinen Stadt Ambledever an. Der junge Mann betrat ein Hotel nahe dem Bahnhof, wo er sich als George Parker eintrug. Nachdem er sein Handköfferchen deponiert hatte, schlenderte er hinaus und zur nächsten Garage, wo er sich ein Motorrad lieh.
Um zehn Uhr ratterte ein Motorradfahrer mit Lederkappe und Brille durch das Dorf Staverley und hielt an einer einsamen Stelle der Straße, nicht weit vom Birkenhof entfernt. Eilig schob er sein Rad hinter dafür geeignetes Buschwerk, vergewisserte sich, dass niemand sein Tun beobachtet hatte, und ging dann an der hohen Mauer entlang, bis er ein Pförtchen erreichte. Wieder war es unverschlossen. Und mit einem erneuten Blick nach rechts und links schlüpfte Bobby Jones hindurch. Er steckte die Hand in die rechte Rocktasche und fühlte befriedigt den Revolver.
Auf dem Gelände des Birkenhofs herrschte tiefster Friede.
Bobby grinste, als er sich der blutrünstigen Geschichten erinnerte, in denen der jeweilige Bösewicht sich durch einen Leoparden oder sonst ein aufregendes Raubtier gegen Eindringlinge sichert.
Dr. Nicholson schien sich mit Riegeln und Stangen zu begnügen, und sogar dabei unterliefen ihm Nachlässigkeiten. Denn das kleine Pförtchen sollte fraglos abgeschlossen sein. Keine zahmen Pythonschlangen, dachte Bobby. Kein Raubtiergezücht, keine elektrisch geladenen Drähte – der Mann ist schamlos rückständig!
Er stellte diese Überlegungen mehr an, um sich aufzuheitern, als aus anderen Gründen. Jedes Mal, wenn er an Moira dachte, schien es sein Herz zusammenzuschnüren.
Ihr Gesicht… die zitternden Lippen… die großen, verstörten Augen… Gerade hier hatte er sie zum letzten Mal
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