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Ein Schritt ins Leere

Ein Schritt ins Leere

Titel: Ein Schritt ins Leere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Gesetz, Lady Frances, ist ein unsicheres Tier. Es hat Tücken, die den Laien überraschen. ‹Einigt euch außerhalb des Gerichtssaals› – so hat von jeher mein Wahlspruch gelautet.»
    «Das Ganze war damals höchst eigenartig», meinte Frankie nachdenklich.
    Sie hatte das Gefühl, als ginge sie barfuß über einen mit feinen Nägeln bedeckten Boden. Jeden Augenblick konnte sie auf einen treten – und dann war das Spiel aus.
    «Solche Fälle kommen viel häufiger vor, als man denkt», erwiderte der Anwalt.
    «Fälle von Selbstmord?»
    «Nein, nein. Ich meinte Fälle von ungebührlicher Einflussnahme. Mr Savage war ein kluger Geschäftsmann, aber Wachs in den Händen dieser Frau.»
    «Seien Sie nett, und erzählen Sie mir die Geschichte mal von Anfang an», bettelte Frankie. «Mr Carstairs geriet darüber immer so in Hitze, dass ich nie ein klares Bild gewinnen konnte.»
    «Die Dinge liegen sehr einfach, und da sie eigentlich allgemein bekannt sind, begehe ich keine Indiskretion, wenn ich sie Ihnen wiederhole. Mr Savage reiste im November vergangenen Jahres von den Vereinigten Staaten nach England zurück. Wie Sie gehört haben werden, war er ein sehr vermögender Mann ohne nahe Verwandte. Auf der Überfahrt machte er die Bekanntschaft einer Dame… eh… einer gewissen Mrs Templeton, von der man nicht mehr weiß, als dass sie eine sehr gut aussehende Frau ist und irgendwo einen Gatten hat, der nie in Erscheinung tritt.»
    Die Caymans!, dachte Frankie.
    «Seereisen sind gefährlich», fuhr Mr Spragge fort, indem er lächelnd den Kopf wiegte. «Mr Savage fühlte sich sehr zu Mrs Templeton hingezogen. Er nahm die Einladung der Dame an, sie in ihrem kleinen Landhaus in Chipping Somerton zu besuchen. Wie oft er dort gewesen ist, habe ich nicht feststellen können; aber kurz und gut: Er geriet mehr und mehr unter Mrs Templetons Einfluss.
    Dann nahte die Tragödie. Mr Savage fühlte sich seit einiger Zeit nicht wohl und fürchtete, er litte an einer bestimmten Krankheit…»
    «Krebs?», warf Frankie ein.
    «Ja, Krebs. Es wurde allmählich zu einer fixen Idee bei ihm. Damals war er gerade bei den Templetons. Sie überredeten ihn, nach London zu fahren und einen Spezialisten zu konsultieren. Er tat es. Und dieser Spezialist – ein Mann, der als einer der Besten in seinem Fach gilt – sagte später bei der amtlichen Leichenschau unter Eid aus, dass Mr Savage keinen Krebs gehabt und er ihm dies auch mitgeteilt habe; dass Mr Savage indes, ganz besessen von seinem Wahn, nicht an die Richtigkeit des ärztlichen Befundes hätte glauben wollen. Nun, die Sache wird sich vielleicht ein wenig anders abgespielt haben. Wenn die Symptome, über die Mr Savage klagte, dem Doktor zu denken gaben, hat er möglicherweise ein langes Gesicht gezogen, von einer kostspieligen Behandlung gesprochen und hat – ungeachtet seiner beruhigenden Versicherung, es sei kein Krebs – den Eindruck erweckt, dass ein ernsthaftes Leiden vorliege. Das deutete Mr Savage dann auf seine Weise, das heißt, er bildete sich ein, die beruhigenden Worte des Arztes seien Lug und Trug, und er litte in Wirklichkeit doch an Krebs.
    Jedenfalls reiste Mr Savage in einem Zustand tiefster seelischer Not nach Chipping Somerton zurück. Er sah ein qualvolles, langes Siechtum vor sich. Ich hörte, er habe in seiner Familie Krebsfalle erlebt und daher die ganze grausige Pein dieser Krankheit kennen gelernt. So lässt sich verstehen, dass er entschlossen war, nicht die gleiche Qual durchzumachen. Er ließ einen Notar kommen – einen Mann von einwandfreiem Ruf –, und dieser setzte ein Testament auf, das Mr Savage unterzeichnete und dem Notar zur Aufbewahrung übergab. Am selben Abend nahm er eine Überdosis Chloral, nachdem er in einem Brief erklärt hatte, dass er einen raschen Tod einem langen Krankenlager vorzöge.
    Aufgrund dieses Testaments aber erhielt Mrs Templeton nach Abzug der Erbschaftssteuer die stattliche Summe von siebenhunderttausend Pfund; das restliche Vermögen fiel an verschiedene wohltätige Stiftungen.»
    Mr Spragge lehnte sich in seinem Sessel zurück. Er begeisterte sich jetzt an seinem eigenen Vortrag.
    «Die Geschworenen fällten das übliche mitfühlende Verdikt: Selbstmord, begangen in geistiger Verwirrung. Doch meines Erachtens dürfen wir daraus nicht schließen, dass er auch das Testament im Zustand geistiger Verwirrung abfasste. Es wurde in Gegenwart eines hochachtbaren Notars gemacht, nach dessen Ansicht der Verstorbene im Vollbesitz seiner

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