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Ein seltsamer Ort zum Sterben

Ein seltsamer Ort zum Sterben

Titel: Ein seltsamer Ort zum Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Derek B. Miller
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daran jetzt so schwer?»
    Doch nach außen ist er schweigsam. Diszipliniert. Ruhig. Ein alter Soldat.

    «Wenn du dich an einen Mann ranschleichst, um ihn zu erstechen», hatte sein Ausbilder vor sechzig Jahren erklärt, «darfst du ihn nicht anstarren. Die Leute merken, wenn man sie von hinten anstarrt. Ich weiß nicht, warum, ich weiß es nicht. Schau ihnen einfach nicht auf den Kopf. Schau ihnen auf die Füße, geh nah ran und stich zu. Den Kopf nach vorn halten, nicht nach hinten. Lass den Mann niemals merken, dass du da bist. Wenn du ihn töten willst, dann tu’s auch. Fang nicht an, mit ihm zu verhandeln. Höchstwahrscheinlich wird er sich nämlich nicht überzeugen lassen.»
    Damit hatte Sheldon nie Probleme. Niemals zog er das Unwägbare in Erwägung, stellte er seine Mission in Frage, zweifelte er an seiner Funktion. Bevor er seiner Truppe abhandenkam und an Bord der HMAS
Bataan
landete, wurde er eines Nachts von Mario de Luca wach gerüttelt. Mario stammte aus San Francisco, seine Eltern waren aus der Toscana. Ursprünglich wollten sie Weinberge nördlich der Stadt kaufen, aber irgendwie schaffte es sein Vater nie, San Francisco zu verlassen, und so wurde Mario eingezogen. Während Donny tiefblaue Augen und goldblondes Haar hatte, war Mario dunkel wie ein sizilianischer Fischer. Außerdem sprach er, als hätte man ihm eine Art Wahrheitsserum injiziert.
    «Donny? Donny, bist du wach?»
    Donny antwortete nicht.
    «Bist du wach?»
    So ging es mehrere Minuten lang.
    «Donny?»
    «Ja, Mario, inzwischen bin ich wach», sagte er schließlich.
    «Donny, ich pack diese Invasion nicht. Ich pack diesen Krieg nicht. Ich weiß nicht, was wir tun sollen. Was machen wir hier?»
    Donny trug einen Flanellpyjama, der nicht aus Armeebeständen stammte. Er sagte: «Du gehst von Bord. Du schießt auf Koreaner. Du gehst wieder an Bord. Was ist daran so verwirrend?»
    «Der mittlere Teil», erläuterte Marco. «Obwohl, jetzt, wo ich darüber nachdenke – der erste Teil auch.»
    «Was ist mit dem dritten Teil?»
    «Nein, der Teil ist kein Problem.»
    «Und warum die beiden ersten?»
    «Meine Motivation. Was für eine Motivation soll ich haben?»
    «Die schießen auf dich.»
    «Und warum tun die das?»
    «Du schießt auf sie.»
    «Und wenn ich nicht auf sie schieße?»
    «Die schießen trotzdem auf dich, weil andere Leute auf sie schießen und sie keinen Unterschied machen. Und du möchtest, dass sie aufhören, deswegen schießt du zurück.»
    «Und wenn ich sie bitte, es nicht zu tun?»
    «Sie sind zu weit weg. Außerdem sprechen sie Koreanisch.»
    «Dann muss ich also näher ran und brauche einen Übersetzer?»
    «Richtig. Geht aber nicht.»
    «Weil sie auf mich schießen.»
    «Das ist das Problem.»
    «Aber das ist absurd!»
    «Ja, stimmt.»
    «Das kann nicht wahr sein!»
    «Die meisten Dinge sind zugleich wahr und absurd.»
    «Das ist auch absurd.»
    «Und?»
    «Vielleicht stimmt das ja auch. Herrgott, Donny. Ich werde kein Auge zumachen heute Nacht!»
    Schließlich flüsterte Donny: «Wenn du nicht schlafen gehst, gibt es kein Morgen. Und das ist dann ganz allein deine Schuld.»

    Die Füße des Monsters kommen vor der Tür zum Stehen. Was gerade noch trampelnde, stampfende Schritte waren, ist jetzt nur noch leises Schlurfen. Der Verfolger dreht sich jetzt nach rechts und links, sucht nach den beiden, als könnten sie sich in einem Schatten oder unter einem Lichtstrahl verstecken. Draußen schlägt eine Autotür zu. Dann noch eine. Schließlich eine dritte. Ein rascher Wortwechsel auf Serbisch oder Albanisch oder etwas in der Art. Worum es geht, kann man sich leicht vorstellen.
    «Wo sind sie hin?»
    «Ich dachte, sie wären bei dir?»
    «Sie müssen zur Vordertür raus sein.»
    «Ich hab nichts gesehen.»
    Und weil sie Amateure sind, Idioten, fallen sie übereinander her und verlieren ihre eigentliche Aufgabe aus den Augen.
    «Nur weil du immer rauchen musst und wieder über dieses Flittchen geredet hast!»
    «Es war dein Job, sie runterzubringen. Ich sollte nur warten.»
    Und so weiter.
    Ein Laut, und sie sind alle verloren. Ein fröhliches Quietschen des Jungen, der alles für ein Spiel hält, oder ein Wimmern, weil ihm in dieser unbeweglichen Stellung etwas wehtut. Oder einfach ein Angstschrei. Nichts ist so menschlich wie ein Angstschrei.
    Sheldon schaut zu ihm hinab. Der Junge sitzt mit dem Rücken zur Tür wie er selbst und hat die Knie angewinkelt. Er hat die Arme um die Knie geschlungen und schaut zu Boden, in

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