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Ein seltsamer Ort zum Sterben

Ein seltsamer Ort zum Sterben

Titel: Ein seltsamer Ort zum Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Derek B. Miller
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erste Markierung ist am Riksveg 23 , den sie bei ihrem jetzigen Tempo wohl in ungefähr dreißig Minuten erreichen und der hoffentlich irgendwie gekennzeichnet ist. Er beschließt, sich ein wenig zu entspannen und diese fremde Gegend erst mal ein wenig auf sich einwirken zu lassen.

    So fremd kommt sie ihm allerdings gar nicht vor. Sie erinnert ihn nämlich an die Berkshires im westlichen Massachusetts, wo weiße Kirchtürme über Saltbox-Häusern mit ihren schwarzen, blauen und grünen Fensterläden wachen, Schulkinder Blechbüchsen mit Zeichentrickfiguren für ihr Pausenbrot bei sich haben und Polizisten den Verkehr auf der Hauptstraße stoppen, damit Entenküken mit ihren orangen Stummelbeinen und lustigen Gesichtchen die Straße überqueren können.
    Zum letzten Mal war er 1962 in den Berkshires, Saul war damals zehn. Es war der perfekte Zeitpunkt, um der Familie die Pracht Neuenglands zu zeigen, die sich wie ein Teppich ausbreitete und sie in einen herbstlichen Zaubermantel hüllte, getränkt mit der Vorfreude auf Halloween.
    Sie wohnten in einem Bed-and-Breakfast in der Nähe des Ortes, in dem Sheldon geboren war. Saul war die mit Teppich ausgelegte Treppe hinabgerannt, zu einer absurd frühen Uhrzeit, um ungestört den Frühstückstisch plündern zu können, Mabel und er hatten sich träge gefragt, wie es wohl gewesen wäre, wenn sie ein Mädchen gehabt hätten.
    «Ruhiger», mutmaßte Sheldon.
    «Für dich. Ich habe meiner Mutter ziemlich zugesetzt», sagte sie.
    «Mütter und Töchter.»
    «Genau.»
    «Aber wir hätten länger schlafen können.»
    «Vielleicht.»
    «Ich kann ja runtergehen und ihm Gesellschaft leisten. Möchtest du noch ein bisschen im Bett bleiben?»
    Mabel schlief also noch ein Stündchen, während Sheldon Saul dabei zusah, wie er das Doppelte seines Körpergewichts an Cranberry-Muffins, Blaubeerpfannkuchen, Kakao, Eiern, Frühstücksspeck, Ahornsirup und Butter verspeiste.
    Es war Mitte Oktober, und Sheldon las im
Boston Globe
über die Kubakrise, die sich gerade zuspitzte. Die Sowjets versuchten, Raketen nach Kuba einzuschleusen, und Kennedy hatte eine Blockade errichtet, um sie daran zu hindern. Die Pattsituation führte beinahe zu einem Atomkrieg. Das hätte ihnen Halloween ziemlich versaut.
    «Wenn es einen Atomkrieg gibt, weißt du ja, was du tun musst, oder?», sagte er zu Saul.
    «Bucken und in Beckung behn.»
    «Sprich nicht mit vollem Mund!»
    Saul schluckte hinunter und sagte dann: «Ducken und in Deckung gehen.»
    «Genau.»
    Nachdem er seinen Elternpflichten nachgekommen war, schenkte Sheldon sich einen zweiten Kaffee ein und beschloss, dass heute ein prima Tag zur Apfelernte wäre. Und danach würde er eine Runde Golf spielen. Mabel konnte ein wenig mit dem Jungen lesen, und er hätte ein wenig Zeit für sich selbst. Konnte die gute Landluft seiner Heimat in vollen Zügen genießen und sich die New Yorker Autoabgase aus den Lungen pusten lassen.
    Mabel trug ein rotes Oberteil und eine weiße Bluse darüber. Damals, so fiel ihm heute wieder ein, hatte er bewundernd festgestellt, wie schmal ihre Taille war, wie schlank ihre Waden. Wie sie ganz leicht in ihren Schuhen über den unebenen Grund spazierte. Er ging hinter ihr her und lächelte, als die Absätze das herabgefallene Laub aufspießten und ihr wie ein Stapel Rechnungen auf dem Dorn in seiner Reparaturwerkstatt folgten.
    Wie schade, dass der Tag so verdorben wurde.
    Mabel kam am Nachmittag mit leichten Kopfschmerzen nach unten, daher beschloss Sheldon, Saul auf den Golfplatz mitzunehmen, damit er lernte, wie man den Schläger richtig hielt. Welcher zehnjährige Junge zog nicht gern den Caddy für seinen Dad?
    Es gab diesen alten Country-Club mit einem niedrigen, langgestreckten weißen Gebäude im Kolonialstil in der Mitte, dahinter erstreckte sich der Golfplatz wie eine smaragdfarbene Pfütze. Das Blau des Himmels strahlte überirdisch schön, und im Rahmen irgendeiner Feierlichkeit spielte ein Streichquartett auf der Terrasse. Ein herrlicher Ort.
    Sheldon und Saul betraten die Lobby und lächelten dem Mann zu, der wie ein Maître d’hôtel hinter seinem Empfangstisch saß. Der Mann lächelte zurück.
    «Hi. Mein Sohn und ich möchten gern eine Runde Golf spielen. Einfach die ersten neun Löcher. Er ist mein Golfjunge, wir halten also niemanden auf.»
    «Ihr Name, bitte?»
    «Ich bin Sheldon Horowitz, und dies ist mein Sohn, Saul.»
    «Mr. Horowitz.»
    «Genau. Also, wo kann ich zahlen, und wo bekomme ich

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