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Ein seltsamer Ort zum Sterben

Ein seltsamer Ort zum Sterben

Titel: Ein seltsamer Ort zum Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Derek B. Miller
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davon wussten, desto besser.
    Als sie gehörigen Abstand zu dem Country-Club hatten, fasste Sheldon Saul bei den Schultern, wedelte mit dem Zeigefinger und sagte Folgendes:
    «Dieses Land ist das, was du daraus machst. Verstehst du, was ich meine? Es ist weder gut noch schlecht. Es ist einfach nur, was du daraus machst. Das bedeutet, dass du keine Entschuldigungen für die Scheiße findest, die Amerika baut. Das machen Nazis und Kommunisten. Vaterland. Mutterland. Amerika, das sind nicht deine Eltern. Amerika, das ist dein Kind. Und heute habe ich Amerika zu einem Ort gemacht, an dem du eins auf die Nase kriegst, wenn du einem Juden gegenüber behauptest, er könne nicht eine Runde Golf spielen. Der Einzige, der mir sagen darf, dass ich nicht Golf spielen kann, ist der Ball.»
    Saul schaute ihn mit großen Augen an, ein Moment, den Sheldon nie vergaß.
    Aber anders als die Kubakrise versaute der Moment den ganzen Tag.

12. Kapitel
    Seit die Zeitungen etwas über den Mordfall gebracht haben, klingelt Sigrids Telefon ununterbrochen. Irgendwann hat sie sich ein Headset aufgesetzt, um wenigstens ein bisschen Arbeit gebacken zu bekommen. Diese Anrufe, findet sie, haben nichts mit ihrem Job zu tun.
    In Norwegen ist die Bezirkspolizei sowohl der Staatsanwaltschaft als auch der Nationalen Polizeibehörde rechenschaftspflichtig, was dazu führt, dass Leute wie Sigrid gleichzeitig von links und rechts abgewatscht werden.
    Die aktuelle Watsche kommt vom Polizeichef ihres Reviers. Sie nimmt sie mit geschlossenen Augen entgegen, als unterziehe sie sich einer Darmspiegelung.
    «Wie läuft’s?»
    «Prima, danke.»
    «Brauchen Sie Hilfe?»
    «Nein. Es ist ja erst gestern geschehen. Ich glaube, wir sind auf gutem Weg.»
    «Ziemlich politisch, das Ganze, was?»
    «Ja, das nehme ich mal an.»
    «Sie haben einen Verdächtigen, richtig? Diesen Typen aus Serbien.»
    «Aus dem Kosovo. Und wir verdächtigen ihn, haben aber keine Beweise. Daher kann ich ihn auch nicht einkassieren. Im Augenblick kann ich ihn nicht einmal finden.»
    «Ein Moslem, richtig?»
    «Wahrscheinlich, aber ich glaube nicht, dass Religion etwas mit dem Fall zu tun hat. Nationalität vielleicht schon. Ich bin noch nicht sicher – es ist zu früh, um ein Motiv nachweisen zu können.»
    «Gibt es weitere Verdächtige?»
    Sigrid öffnet die Augen und blickt sich kurz um. Dann schließt sie sie wieder. Irgendwie tut es gut, bei diesem Gespräch eine Blinde zu spielen.
    «Es gibt da jemanden, den wir als ‹schützenswerte Person› bezeichnen.»
    «Was heißt denn das?»
    «Es ist eine neue Kategorie, die ich mir ausgedacht habe.»
    «Dürfen Sie das?»
    «Ich denke schon.»
    «Um wen handelt es sich?»
    «Er heißt Sheldon Horowitz.»
    «Albaner?»
    «Jude.»
    Am anderen Ende der Leitung entsteht eine sehr lange Pause.
    Eine sehr. Lange. Pause.
    Der Polizeichef flüstert: «Jude?»
    «Jude», erwidert Sigrid, ohne zu flüstern.
    «Ein israelischer Spion? Mossad?»
    «Nein. Kein Israeli. Ein Jude. Er ist Amerikaner. Ein alter Marine, der möglicherweise an Alzheimer leidet. Oder an Traurigkeit. So was in der Art. Er ist über achtzig.»
    «Die Israelis heuern jetzt schon alte amerikanische Ex-Marines an?»
    «Das hat nichts mit Israel zu tun.»
    «Sie sagten, es hätte nichts mit Religion zu tun, aber der Mann hat einen jüdischen Namen.»
    «Ja, es ist ein jüdischer Name.»
    «Sie sagten, Religion spiele keine Rolle, wohl aber Nationalität. Daher sagte ich Israel.»
    «Er ist kein Israeli. Sondern Amerikaner. Ein amerikanischer Marine.»
    «Aber … Jude?»
    «Und … Jude.»
    «Warum haben Juden jüdische Namen?»
    Sigrid starrt auf die durchgebrannte Birne.
    «Ist das eine Fangfrage?»
    «Nein, was ich sagen will, ist … Norweger haben keine lutherischen Namen; wir haben norwegische Namen. Und die Franzosen haben keine katholischen Namen; sie haben französische Namen. Und auch die Katholiken haben keine katholischen Namen, und die Moslems keine muslimischen. Zumindest soweit ich weiß. Obwohl ich vermute, dass Mohammed ein muslimischer Name ist. Also, weshalb haben Juden jüdische Namen?»
    «Mohammed ist ein Vorname. Kein Nachname.»
    «Da haben Sie vollkommen recht!»
    «Ich rate mal ins Blaue hinein», sagt Sigrid und fragt sich, weshalb sie raten soll, wenn doch jemand anders die Antwort darauf genau kennt. «Ich denke mir, weil es die Juden als Volk bereits mindestens tausend Jahre vor den Norwegern, Franzosen und sämtlichen Katholiken gegeben hat. Vielleicht

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