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Ein sicheres Haus

Titel: Ein sicheres Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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hinüber zum vorderen Zimmer, das nie zu irgend etwas benutzt wurde und kaum gesaugt werden mußte, obwohl sie es trotzdem tat. Natürlich war niemand darin. Alle Vorhänge waren zugezogen, das Licht brannte. Sie ging hinüber zum Fuß der Treppe und zum zweiten vorderen Zimmer. Sie legte die Hand auf den Treppenpfosten, der von einer ornamentreichen Schnitzerei aus dunklem Holz gekrönt wurde, die aussah wie eine Ananas mit Schnabel.
    Afrormosia, ein Tropenholz – Leinöl brauchte man dafür, abgekocht, nicht roh. Niemand da. Sie wußte, daß der Fernseher im Wohnzimmer stand. Sie trat einen Schritt vor, ihre Hand streifte die Wand, als wollte sie sich abstützen. Ein Bücherschrank. Ledergebundene Bände, die Lanolin und Klauenfett benötigten, zu gleichen Teilen. Es war möglich, überlegte sie, daß, wer immer da fernsah, ihren Ruf nicht gehört hatte. Und was die Tür betraf – vielleicht wurde etwas geliefert, oder der Fensterputzer hatte sie beim Hereinkommen offengelassen. So beruhigt, ging sie zur Rückseite des Hauses und in das Hauptwohnzimmer. Sehr schnell, binnen weniger Sekunden nach dem Betreten des Raums, hatte sie sich heftig auf den Teppich übergeben, den sie seit achtzehn Monaten an jedem Werktag gestaubsaugt hatte.
    Sie stand vorgebeugt, mit gesenktem Oberkörper, und keuchte.
    Sie suchte in ihrer Manteltasche herum, fand ein Papiertaschentuch und wischte sich den Mund ab. Sie war über sich selbst überrascht, fast verlegen. Als Kind war sie einmal von ihrem Onkel durch ein Schlachthaus außerhalb von Fuenteobejuna geführt worden. Er hatte auf sie herabgelächelt, weil sie nicht in Ohnmacht fallen wollte beim Anblick des Blutes und der abgehackten Gliedmaßen und vor allem des Dampfes wegen, der von dem kalten Steinboden aufstieg. Das war der Geruch, an den sie sich erinnert hatte. Ganz und gar kein Scheunengeruch.
    Blutspritzer waren so weiträumig verteilt, bis hinauf an die Decke, bis an die gegenüberliegende Wand, als wäre Mr. Mackenzie explodiert. Doch das meiste Blut befand sich in dunklen Lachen auf seinem Schoß und auf dem Sofa. Es war so viel. Konnte das von einem einzigen Menschen stammen? Das, wovon ihr schlecht geworden war, war vielleicht die Normalität seines Pyjamas, so englisch, sogar der oberste Knopf war geschlossen. Mr. Mackenzies Kopf lag in einem unnatürlichen Winkel nach hinten gebeugt. Sein Hals war durchtrennt, und nichts außer der Rückenlehne des Sofas hielt den Kopf mehr aufrecht. Sie sah Knochen und Sehnen und die Brille, die immer noch nutzlos auf seiner Nase saß. Das Gesicht war sehr weiß.
    Und stellenweise gräßlich blau verfärbt.
    Mrs. Ferrer wußte eigentlich, wo das Telefon stand, aber sie hatte es vergessen und mußte danach suchen. Sie fand es auf einem kleinen Tisch auf der anderen Seite des Zimmers, weit weg von all dem Blut. Sie kannte die Nummer aus einer Fernsehsendung. Neun, neun, neun. Eine weibliche Stimme antwortete.
    »Hallo. Ein schrecklicher Mord ist passiert.«
    »Wie bitte?«
    »Ein Mord ist passiert.«
    »Gut, in Ordnung. Beruhigen Sie sich, weinen Sie nicht.
    Sprechen Sie Englisch?«
    »Ja, ja. Entschuldigung. Mr. Mackenzie ist tot. Umgebracht.«
    Erst als sie den Hörer wieder aufgelegt hatte, fiel ihr Mrs.
    Mackenzie ein, und sie ging nach oben. Mrs.
    Ferrer
    brauchte nur eine Sekunde, um zu sehen, was sie befürchtet hatte. Ihre Arbeitgeberin war an ihr Bett gefesselt. Sie schien fast in ihrem eigenen Blut zu schwimmen, ihr Nachthemd auf dem hageren Körper glänzte von Blut. Zu dünn, hatte Mrs. Ferrer insgeheim immer gedacht. Und das Mädchen? Sie fühlte ein Gewicht auf der Brust, als sie eine weitere Treppe hinaufging. Sie stieß die Tür des einzigen Zimmers im Haus auf, das sie nicht saubermachen durfte. Sie konnte kaum etwas von der Person sehen, die an das Bett gefesselt war. Was hatten sie mit ihr gemacht? Braunes, glänzendes Klebeband auf dem Gesicht. Ausgestreckte Arme, die Handgelenke an die Ecken des metallenen Bettgestells gebunden, dünne rote Streifen auf der Vorderseite des Nachthemds.
    Mrs. Ferrer sah sich in Finn Mackenzies Schlafzimmer um.
    Flaschen lagen verstreut auf der Kommode und auf dem Boden.
    Fotos waren zerfetzt und zerrissen, Gesichter ausgestochen. An einer Wand stand in einem schmierigen, dunklen Rosa ein Wort, das sie nicht verstand: Piggies. Schweine? Plötzlich drehte sie sich um. Vom Bett war ein Geräusch zu hören. Ein Gurgeln. Sie stürzte hinüber. Sie berührte die Stirn über dem

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