Ein silbernes Hufeisen
Tony. Wie sollte Guinievaire ahnen, wer von ihnen den Anfang machte? Und wie sollte sie planen, wenn ihr nicht einmal die einfachsten Fakten über den Zeitplan bekannt waren? In die Zukunft sehen zu wollen, selbst wenn sie besorgniserregend nahe lag, war sinnlos und unmöglich, also musste sie ganz einfach abwarten, und dann musste sie wohl oder übel improvisieren. Diese Vorstellung gefiel ihr ganz und gar nicht. Niemals konnte sie beruhigt sein, wo doch an diesem Abend ihr gesamtes, schönes Leben auf dem Spiel stand, wie sie es sich seit ihrem Debüt erschaffen hatte.
Eine lächerliche halbe Stunde blieb ihr noch, als sie sich die Lippen bemalte. Ihr Vater würde erwarten, dass sie pünktlich war und dass sie hübsch aussah. Ob er wohl nervös war, ebenso wie sie? Es gab nicht oft Feste in Hastings House, denn er war nicht eben beliebt und niemand kam gerne, nur um ihn zu sehen. Die ganze Stadt wartete jedoch auf neue Entwicklungen in Guinievaires Leben, und deswegen würden sie heute alle doch in Scharen herbeiströmen, denn immerhin wussten sie, dass auch mit Lord Lovett und seiner neuen Frau zu rechnen war und mit dem Marquis, von dem man schon seit vielen Wochen deutlich mehr Initiative erwartete.
Wenn Tony und sie heute endlich den erhofften Segen bekamen, dann bedeutete das auch, dass Guinievaire bald ausziehen würde aus Hastings House, in dem sie die ersten achtzehn Jahre ihres Lebens verbracht hatte, die lange gewesen waren und einsam. Sie dachte an die Bibliothek, die sie beinahe ausgelesen hatte, an ihr hübsches Zimmer, an das kleine Klavier, das ihr alleine gehörte, die einzigen Dinge, die ihr lieb waren an diesem Ort. Es gab Erinnerungen, die sie schätzte, aber sie würde sie mit sich fortnehmen, und keine einzige davon verband sie mit ihrem Vater. Als sie klein gewesen war, da hatte er kaum jemals ein Wort mit ihr gewechselt, denn er hatte immer nur gewartet bis sie ihm nützlich sein konnte. Deswegen gab es sie doch überhaupt: nachdem Thomas sich schon sehr früh in seinem verwöhnten Leben als Enttäuschung für Mortimer Hastings entpuppt hatte, hatte er all seine Hoffnungen auf einen zweiten Versuch gesetzt. Guinievaires einziger Lebenszweck war es, in seinen Augen, den Ruhm der Familie zu mehren. Wenn sie es recht bedachte, so würde er ihre Verlobung mit dem Reitlehrer wohl niemals begrüßen.
Aber sie schuldete es Tony, es zumindest zu versuchen. Er hatte sie gebeten, ihn zu heiraten und dabei hatte er ihr damals versprochen, einen Weg für sie beide zu finden, selbst wenn er von Anfang an gewusst hatte, dass dies ein kompliziertes Unterfangen werden musste. Und nun gingen sie diesen offiziellen Weg, damit keiner der beiden sich am Ende vorwerfen musste, sie hätten nicht ihr Bestes gegeben. Erst nach diesem Abend, nachdem sie gescheitert waren, konnten sie entscheiden, wie sie fortfahren sollten, wenn sie dies überhaupt noch wollten oder vielmehr, wenn Tony dies überhaupt noch wollte.
Mit einem weiteren, sehr, sehr langen Seufzer erhob Guinievaire sich wieder, nachdem sie ihr Haar zurecht gesteckt hatte, um nach dem Kleid auf seinem Bügel zu greifen und die Arme in die festen Ärmel aus Seide gleiten zu lassen. Lange hatte sie überlegt, was sie heute Abend tragen sollte, dann hatte sie sich gemeinsam mit Conroy, ihrem Schneider, auf dieses hier geeinigt, ein magentafarbenes Wickelkleid mit einem tiefem Ausschnitt, darunter trug sie ein golden durchwirktes Korsett, das ein viel geschätztes Geschenk gewesen war. Nachdem sie die Schleife auf ihrer rechten Seite gebunden hatte und in ihre Schuhe mit den bedauernswert flachen Sohlen geschlüpft war, warf sie einen prüfenden Blick in den langen Spiegel hinter ihrer Türe. Sie konnte zufrieden mit sich sein, dachte sie, dann revidierte sie diese Meinung. Warum sollte sie bescheiden sein? Sie sah fabelhaft aus, ihre Haut war weiß, ihre Wangen strahlten, ihr Busen saß perfekt, ein jeder würde sie anbeten und beneiden. Während sie sorgfältig die vielen Falten ihres Rockes arrangierte, so dass er hin und wieder offen fiel über ihrem Bein, wurde ihre Laune sogar ein wenig besser. Wer sollte ihr einen Wunsch abschlagen, wenn sie so aussah? Außerdem freute sie sich trotz allem darauf, ihren Alex endlich wiederzusehen. Vermutlich würde sie ihre Meinung ändern, sobald sie die ersten Sätze gewechselt hatten, aber dennoch, sie hatte ihn und sein hübsches Haar unleugbar vermisst in den letzten Wochen.
In der Eingangshalle brannte
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