Ein silbernes Hufeisen
einmal ungewollt aufgeschnappt hatte: in der ganzen Stadt nannte man sie Eiskönigin. Dabei war ihre Haltung definitiv königlich und sie trug ihr Kinn recht hoch, dennoch leuchteten ihre grünen Augen freundlich, während Tony ihre kühle Hand in der seinen hielt. Hätte er ihren Handrücken küssen sollen? Dies erschien ihm eigentlich ein wenig zu persönlich und zugleich auch etwas unterwürfig. Er musste sich nicht verbeugen vor Guinievaire Hastings.
„ Guinievaire, es reicht!“ erklang ein weiteres Mal die laute Stimme, die Tony schon zuvor aus der Scheune hatte hören können, was ihn überhaupt erst angelockt hatte, und bei der es sich wohl um die ihres Vaters handelte. Langsam ließ sie Tonys Hand los und verdrehte lächelnd die Augen, während er schrie. „Komm jetzt sofort hierher!“
Tony und Guinievaire tauschten Blicke aus und grinsten. „Sie werden verlangt,“ bemerkte er amüsiert, während er beschloss sie zu begleiten.
Guinievaire seufzte und machte einige, vorsichtige Schritte, aber ihr glänzendes Schuhwerk war definitiv nicht geeignet für die Ställe und Koppeln, worüber sie natürlich nicht nachgedacht hatte. Tony kannte die Orte, an denen sie sich üblicherweise aufhielt und mit wem sie dann dort zusammen war. Genau deshalb hatte er niemals damit gerechnet, dass er einmal eine Chance haben würde, mit ihr zu sprechen, hier, wo er zu Hause war und sich sicher fühlte. Hatte er überhaupt jemals mit ihr sprechen wollen? Tony hatte sie schon immer sehr schön gefunden, aber er hatte dabei auch stets geglaubt, was er nun einmal von all jenen jungen Menschen hielt, die reich geboren worden waren, einen fabelhaften Stammbaum hatten und sich jeden Tag auf einer anderen Party vergnügten. Sie war schön und mehr war sie nicht, davon war er überzeugt gewesen.
Plötzlich rutschte sie, während sie nebeneinander gingen, etwas auf ihren dünnen Absätzen und knickte dabei unglücklich zur Seite. Geistesanwesend streckte Tony die Arme aus und stützte sie, bevor sie fallen konnte.
„ Verflucht,“ murrte sie leise, dann sah sie ihn an, noch als sie Tonys Arme mit ihren langen Fingern umklammert hielt. „Dankeschön, Mr Ford,“ hauchte sie mit einem winzigen Lächeln von ihren kleinen Lippen.
In Tonys Brust war ein merkwürdiges, ausgesprochen schmerzhaftes Stechen zu spüren, als wäre sein Herz mit einem Ruck gegen eine spitze Rippe geprallt. Erschrocken sah er sie deswegen an, denn dieses unangenehme Gefühl war ihm gänzlich unbekannt. Sie blinzelte jedoch lediglich, richtete sich wieder auf und streckte den Rücken durch, als wäre nichts Besonderes geschehen. Umsichtig bot Tony ihr einen Arm an, an dem sie sich dankbar festhielt.
Im Grunde konnte er Mädchen wie sie nicht leiden, erinnerte er sich wieder, denn sie war von einem Frauenschlag, der zwar schön anzusehen, aber auch nur zu leicht zu durchschauen war: ihre Attraktivität nutzte sie unverschämt aus, verließ sich voll und ganz darauf. Warum sonst hatte das Kleid, das man allein auf ihre Figur angepasst hatte, einen derart tiefen Ausschnitt, dass es einen näheren Blick auf ihr besticktes Korsett ermöglichte? Guinievaire und Mädchen von ihrem Stand hatten es immer nur auf dieses eine abgesehen: so schnell wie möglich die bestmögliche Partie zu machen, um sich dann niemals wieder in ihrem hübschen Köpfchen sorgen zu müssen. Dafür war sie ausgebildet worden. Man hatte ihr beigebracht, Klavier zu spielen, zu singen und zu tanzen, leere Konversation zu machen und ahnungslos mit den Wimpern zu flattern. Ein Buch hatte sie sicherlich noch niemals in der Hand gehabt, woran sich in ihrem Fall auch sicherlich niemand störte. Sie musste nichts mehr sein als eine brave Ehefrau in Zukunft und bis dahin spielte sie die Rolle der strebsamen, ahnungslosen Debütantin. Obwohl Tony zugleich meinte, sich daran erinnern zu können, sie schon einige Male abends in der Oper gesehen zu haben. Nun, vermutlich hatte sie damals jemanden beeindrucken wollen.
Guinievaire betrat zusammen mit Anthony den Stall und sofort wurde ihr dort schlecht, denn es stank unerträglich. Das Licht, das durch die Latten drang, war von einem seltsam schummerig goldenen Ton und es war warm dank des vielen Strohs und der dampfenden Pferde, die glücklicherweise allesamt in ihre kleinen, quadratischen Zimmer mit den Gittern eingesperrt worden waren, damit sie nicht das Leben aller umstehenden Personen auf gefährlichste Art und Weise bedrohten, wie sie es
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