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Ein silbernes Hufeisen

Ein silbernes Hufeisen

Titel: Ein silbernes Hufeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Barbera
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jeder lag ihm immer mit den Büschen in den Ohren. War er nicht der Gärtner und der Experte und machte er seine Sache nicht offensichtlich hervorragend? Trotzdem behandelte man ihn wie ein dummes Kind.
    Drei Treppen galt es zu erklimmen und durch drei Korridore musste er gehen, die allesamt in heiteren Farben gestrichen waren. Am Ende des gelben Flures im dritten Stock lag dann schließlich ihr Zimmer hinter einer hell lackierten Türe, ein Zimmer, welches früher wohl so etwas wie ein Gästezimmer gewesen war oder ein Raum für spezielles Personal, denn auch ein kleines Badezimmer grenzte daran, wodurch es beinahe so etwas war, wie eine kleine, eigenständige Wohnung. Inzwischen wurde der Raum jedoch nicht länger benutzt, vielleicht weil er komplett mit Holz verkleidet war und dabei derart ungünstig lag, dass es im Sommer darin unerträglich heiß werden konnte, wenn die Sonne in einem bestimmten Winkel durch die Fenster fiel. Stattdessen verwendete man ihn als Stauraum – unter diesem Namen war er auch im ganzen Haus bekannt. All den alten Plunder, an dem Abigail sich satt gesehen hatte, brachte man hoch in den dritten Stock und nun war auch die Nichte der Hausherrin ausgerechnet dort gelandet. Was auch immer sie getan hatte, es musste schlicht grauenhaft gewesen sein.
    Jedes einzelne Mal, wenn Marion ihr das Tablett brachte, klopfte er zunächst warnend an ihre Türe, aber niemals folgte daraufhin auch nur das leiseste Geräusch. Hätte sie nicht auch immer wieder das benutzte Geschirr – meist trank sie, aber aß nur sehr wenig – heraus gereicht, Marion hätte befürchtet, sie sei schon längst verendet und tot. Noch nie hatte sie bisher versucht, mit ihm zu sprechen. Vielleicht war sie krank, hatte er überlegt, oder einfach nur unfassbar stur. In wenigen Minuten würde er die Antwort kennen.
    Auch diesmal folgte er wieder seiner bereits etablierten Routine, und auch heute gab sie kein Lebenszeichen von sich. Dann wartete er jedoch kurz ab, sah sich noch einmal prüfend nach allen Seiten um, was natürlich vollkommen überflüssig war, zugleich aber auch herrlich geheim, und dann steckte er schließlich den alten Schlüssel in das ebenso alte Schloss, das sich leicht und mit einem sehr leisen Klicken öffnen ließ. Vorsichtig trat er ein.
    Der Stauraum trug seinen Namen nicht zu unrecht: er quoll beinahe über mit altem, unnützem Plunder, den man über die vielen Jahre stets ausgesprochen sorglos über den Boden verteilt hatte. Links von der Türe fanden sich einige splitternde, teils zerbrochene Bilderrahmen, eine Armorstatue, der jedoch der entscheidende Arm mit Bogen fehlte, ein staubiger Kristalllüster, drei oder vier Bahnen von mottenzerfressenen, hellblauen Damastvorhängen und schließlich zwei alte Stühle, die nicht zusammenpassten – der eine war dunkel und rot gepolstert, der andere ein halb verrotteter Gartenstuhl. Rechts von Marion stand ein großes Bett, das nicht gemacht worden war. Zwei Bücher lagen dort mit aufgeschlagenem Rücken zwischen der unordentlichen, karierten Bettwäsche und noch weiter rechts führte auch die kleine Tür in das angrenzende Badezimmer. An der frontalen Wand wiederum standen viele Koffer zerstreut, in deren Mitte, direkt vor den drei kleinen, aber klaren Erkerfenstern, ein alter, zerschlissener Ohrensessel thronte. Und dort saß sie. Zuerst bemerkte sie ihn nicht, erst als Marion ungeschickt mit dem Fuß gegen das Glas Wasser stieß, welches er soeben erst höchst persönlich direkt vor seine Zehen platziert hatte, und es daraufhin seinen Inhalt über das zerkratzte, dunkle Parkett verteilte, wirbelte ihr Kopf herum.
    Obwohl er ihrer Spezies durchaus recht zugetan war, hatte Marion in seinem Leben noch nicht viele Mädchen gesehen. Einzig jene aus dem Dorf waren ihm bekannt, bei diesen war er definitiv beliebt, und es gab dort sogar einige recht hübsche Exemplare, aber im Vergleich zu diesem hier? Ein Mädchen wie dieses hatte Marion tatsächlich noch niemals gesehen. Denn zunächst einmal war sie weiß wie Elfenbein: ihre Haut war nicht fleischfarben, sie war nicht relativ hell oder creme, sie war definitiv weiß bis auf die Sommersprossen, die auf ihren Armen und Wangen verteilt waren. Sie trug ein teures, ebenfalls weißes Kleid, das mit roten Mohnblumen und einer blauen Schleife um ihre Mitte verziert war, ihre Schultern waren nackt, und um ihre Handgelenke baumelten teure Steine in bunten Farben. Ihre Fingernägel waren lackiert, ebenso wie ihre

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