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Ein silbernes Hufeisen

Ein silbernes Hufeisen

Titel: Ein silbernes Hufeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Barbera
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dabei blieb sie endlich ruhig stehen und verschränkte die langen Hände vor sich. Dabei empfand Marion mit einem Mal sogar etwas Mitleid mit ihr, als kenne er sie und als bedeute sie ihm etwas. Die Luft in diesem Zimmer war alt und verbraucht, und sollte sie tatsächlich bis zum Sommer bleiben, dann würde sie leiden unter der Hitze, die sich unter der niedrigen Decke schnell sammelte. Was auch immer sie getan hatte, sicherlich hatte sie diese beengte Haft nicht verdient.
    „Ich war sehr neugierig,“ räumte Marion ein. „Ich wollte dich sehen.“
    Auf diese Bemerkung hin warf sie ihm mit ihren strahlend grünen Augen nun einen bemerkenswert finsteren Blick zu. Scheinbar ließ sie sich nicht gerne bewundern wie einen Panther im Zoo, was wohl durchaus verständlich war, dachte Marion bei sich. Dennoch, sein Ausflug in den Turm war das Risiko, das er damit eingegangen war, mehr als wert gewesen: das Mädchen aus der Stadt zwischen all dem Unrat war tatsächlich ein Spektakel.
    „Und gefalle ich dir auch?“ fragte sie gereizt.
    „Sehr sogar,“ verkündete Marion. Warum sollte er lügen?
    Zudem schien die Antwort ihr zu gefallen. Sie lächelte etwas beschwichtigt, aber Marion fand, dass sie schöner war, wenn sie es nicht tat. Es passte nicht recht zu ihr.
    „Dann darf ich mit mehr bewundernden Besuchen in der Zukunft rechnen?“ sagte sie, wobei dieser Satz weniger nach einer Frage und sehr viel mehr nach einer Anordnung klang. Nun, diese würde Marion sicherlich gehorsamer befolgen als den Befehl, sie vollkommen zu ignorieren, er grinste also und nickte einverstanden. Sie setzte sich derweil auf die Armlehne ihres Sessels.
    „Ich werde kommen, so oft ich kann,“ versprach er.
    Sie lächelte schwach. „Das wäre nett von dir, Marion,“ nickte sie und daraufhin seufzte sie dann, und ihr Gespräch war nun augenscheinlich beendet. Marion durfte nicht zu lange bleiben, immerhin stand das Abendessen stets sehr pünktlich auf dem Tisch in seinem kleinen Zuhause, wollte er also keinen nervösen Anfall seiner Mutter riskieren, dann musste er gehen. Er hatte bereits zum Abschied einmal kurz genickt und war an der Türe, als ihm noch eine letzte Frage einfiel.
    „Was ist mit deinem Namen? Wie heißt du? Es kann doch nicht schlimmer sein als Marion?“ erkundigte er sich.
    Während sie lachte, was ein tiefes, zufriedenes Geräusch war, ebenso wie das Schnurren einer Katze, zogen sich ihre Schultern ein wenig zusammen „Mein Name ist Guinievaire,“ antwortete sie ihm dann.
    Marion lachte mit ihr, verließ das Zimmer mit einem Kopfschütteln und verschloss die Türe pflichtbewusst hinter sich. „Guinievaire,“ wiederholte er. Nun, dies war typisch für Stadtmenschen, nicht wahr? Nur in London kam man auf die brillante Idee, ein kleines Baby nach einer sagenumwobenen Königin zu nennen und dachte nicht eine Sekunde darüber nach, dass die Kleine den Namen vermutlich erst mit sechs korrekt aussprechen und erst mit neun korrekt schreiben können würde. Guinievaire, dies war ein alberner Name, aber er klang hübsch, sprach man ihn laut aus, und somit passte er wohl zu ihr. Marion hatte ein gutes Gefühl nach diesem Besuch, denn sie hatte einen guten Eindruck auf ihn gemacht, ganz so als fände man im Lexikon ihr Bild, wenn man nach dem Gegenteil von Langweile suchte. Sicherlich würden sie gute Freunde werden.

4 Mai
     
     
    Marion sollte recht behalten, in zweierlei Hinsicht: erstens, es wurde tatsächlich sehr bald Frühling in diesem Jahr. Schon Anfang März hatte er alle Hände voll damit zu tun, die Zwiebeln, die er schon vor Monaten gesetzt hatte, zum Sprießen zu bringen, das eilig wachsende Gras zu mähen und die Kirschbäume zu stutzen, wobei er härter arbeitete als jemals zuvor in seinem bequemen Leben. Zweitens, er und Guinievaire wurden tatsächlich gute Freunde. Zu Beginn war er dabei noch vorsichtig und sah sie nur ab und an, maximal einmal in der Woche, aber schon sehr bald wurde er mutiger und kam öfter und öfter, denn schon bald stellte sich heraus, dass sie sich hervorragend verstanden: sie erzählte ihm gerne und mit einem wehmütigen Blick von London und von ihren Freundinnen und Freunden, sie sprach über die Feste, die sie besucht hatte, ihre Misserfolge und ihre Sternstunden und Marion, der stumm lauschte, neidete ihr dabei jede einzelne Minute in der großen Stadt. Wie gerne wäre er doch bei ihr, kehrte sie zurück in ihre Welt, wie gerne wäre er da, in der Nacht, wenn sie feierte! Bald

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