Ein silbernes Hufeisen
schon wusste er recht viel über Guinievaire und sie bemühte sich währenddessen ebenso viel über ihn zu erfahren, selbst wenn er doch darauf beharrte, dass es im Grunde nicht viel zu berichten gab. Sein Leben sei nicht sehr aufregend gewesen bisher, meinte er oft enttäuscht und abfällig, und selbst dann nickte Guinievaire, die man erst mit sechzehn Jahren zum ersten Mal der Außenwelt präsentiert hatte und die sich daher mit der Langeweile, mit der er sich täglich quälte, bestens auskannte.
Ganz egal was Marion jedoch tat, wie sehr er bohrte und bettelte, er erfuhr doch niemals von ihr, was sie getan hatte, wodurch sie diese harte Strafe und Verbannung verdient hatte, denn Guinievaire mochte ganz einfach nicht darüber sprechen. Zuweilen war sie durchaus etwas merkwürdig und abwesend, dann war sie wieder beinahe nervös, als warte sie auf etwas, und dann trommelte sie mit den Fingern und seufzte sehr viel. Zweifellos war sie mysteriös, aber Marion störte sich zugleich nicht sonderlich an ihrer Zurückhaltung. Denn die meiste Zeit hindurch war sie dadurch unverbindlich, unbeschwert und immer ausgesprochen entspannt im Umgang mit ihm und dabei wenig wie die anderen Mädchen, die Marion vor ihr gekannt hatte. Niemals fragte er sich, was zwischen ihm und ihr sein mochte und niemals gab es Spannungen, alles war unbeschwert und unkompliziert. Denn Guinievaire war zugegebenermaßen sehr schön, aber zugleich war sie auch eine höhere Tochter, die man früher oder später erretten würde aus ihrem Verlies, damit sie zurück in ihren Palast zu ihren Freunden und Bewunderern kehren konnte. Es wäre unvernünftig gewesen, sich mehr zu erhoffen, und außerdem gab es noch etwas anderes, ein sehr vages Gefühl, das Marion im Bezug auf sie hegte: dass er der Leichtigkeit nicht trauen durfte. Und dass sie mehr war als ein unschuldiges Mädchen, in einem Turm gefangen, das viel lachte und seiner Gesellschaft bedurfte. Etwas Bedrohliches war an ihr.
Niemals erzählte er Guinievaire von seinem Misstrauen, und niemals sah er seinen Verdacht bestätigt in den ersten Wochen ihrer Bekanntschaft, weswegen Marion mit der Zeit weniger wachsam wurde. Meist genoss er einfach ihre angenehme, fröhliche Gesellschaft und dies tat er bis in den Mai hinein, als er eines Tages gegen ihr Fenstersims lehnte und gemeinsam mit ihr, die auf ihrem Sessel saß, aus dem Fenster blickte. Zuvor hatte sie erklärt, sie wolle die Namen der Pflanzen lernen, die er Tag für Tag pflegte, wobei sie ihn in letzter Zeit oft von ihrer Zelle aus beobachtete. Und wenn er dann hoch sah zu ihr, dann winkte sie ihm mit einem Lächeln, welches dazu geführt hatte, dass Marion sich deutlich weniger einsam fühlte. Die Sonne schien und es war warm im Raum. Aus einem unerfindlichen Grund ließen sich die Fenster nämlich nicht öffnen, weswegen viele Jahre alter Luft noch immer unter der niedrigen Decke krochen.
„Was ist das?“ fragte Guinievaire und drückte einen langen Finger gegen die Scheibe.
Marion beugte sich ein wenig über ihre blasse Schulter und verdrehte, für sie selbstverständlich unsichtbar, die Augen. „Das sind natürlich Gardenien. Wirklich, Guinievaire, gibt es in London überhaupt so etwas wie Blumen? Man könnte meinen, du hättest noch niemals welche gesehen.“
Auf diese Anschuldigung hin machte sie ein empörtes Geräusch und sah ihn vorwurfsvoll an. „Seit Jahren kümmere ich mich um die Blumen in unserem Haus,“ korrigierte sie ihn. „Aber dafür muss ich kaum wissen, wie sie heißen. Ich muss nur wissen, welche Form und Farbe sie haben sollen, und dann muss ich sicher gehen, dass alles schnell geht und zu meiner vollsten Zufriedenheit geschieht.“ Nach dieser Ansprache lächelte sie zufrieden, wenn auch etwas wehmütig.
„Ich bin froh, nicht dein Gärtner zu sein,“ bemerkte Marion lediglich recht amüsiert, aber Guinievaire zog die Augenbrauen zusammen und wandte den Kopf ihm zu, um ihn zu studieren als habe sie ihn noch niemals zuvor gesehen.
„Ich könnte in dir niemals Personal sehen,“ verkündete sie dann leise und sehr nachdenklich. „Du bist etwas Besonderes für mich.“
Ihr blasse Nasenspitze war nicht weit entfernt von Marions Gesicht, während sie diese Beobachtung machte, wobei dieser sich nun beinahe unwohl fühlte. Bisher war es ihm in ihrer Nähe noch niemals so ergangen, obwohl sie bemerkenswert oft schon Gelegenheiten gefunden hatte, um ihn berühren zu können, ob sie nun etwas Erde von seiner Wange
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