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Ein silbernes Hufeisen

Ein silbernes Hufeisen

Titel: Ein silbernes Hufeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Barbera
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schmerzhaft wieder in sich zusammen. Das konnte sie nicht sein, befand er nämlich enttäuscht, denn diese Gestalt war bei weitem zu groß für seine Verlobte und definitiv auch etwas zu breit. Wenn sie doch nur ein bisschen näher ans Fenster träte! Nun, dies tat sie nach einer weiteren, kurzen Weile auch oder zumindest ein Teil davon – es hatte sich bei dem ersten Gebilde um zwei Personen gehandelt – und der vage Schatten, der nun direkt hinter den Scheiben stand, war unmöglich zu verwechseln, denn ihre weiße Haut setzte sich ebenso leuchtend von dem dunklen Hintergrund ab, wie ihr strahlend rotes Haar. Selbst wenn Tony das Gesicht der Figur nicht wirklich gut erkennen konnte, sie hatte doch die richtige Größe und nun war sie auch entsprechend schmal. Außerdem war ihre Haltung die Guinievaires. Hinter ihr stand jemand, ein zweiter Umriss, aber derjenige oder diejenige war verschwunden, nachdem Tony ein einziges Mal sehr kurz die fassungslosen Lider schloss. Guinievaire verharrte jedoch an ihrem Platz.
    Sie war also hier, schloss er nun endlich, bei ihrer einzigen Tante. Es wäre unerhört leicht gewesen, sie zu finden, hätte er es nur gewollt. Was um Himmels Willen hatten die teuren Privatdetektive bloß getan, die er monatelang bezahlt hatte, und wie nur hatte er derart gründlich versagen können? Tonys Brust pochte vor Aufregung und Scham, denn er hatte sie aufgegeben und im Stich gelassen, er war ein Heuchler und ein Feigling. Hatte er ihr nicht in ihrer letzten gemeinsamen Nacht versprochen, er würde immer einen Weg für sie finden? Sie musste vor Wut kochen, während sie nun auf ihn herab sah. Einzig wegen ihm hatte man sie hier eingesperrt, in dieser Einöde weit weg von ihrer geliebten Stadt in einem winzigen Zimmer, während er vorgehabt hatte, nach Europa zu reisen, seine Freiheit zu genießen und sie zu vergessen, um von vorne zu beginnen. Wie grausam er doch war, wo er doch immer restlos davon überzeugt gewesen war, dieses Mädchen zu lieben! Voller Scham fasste Tony in diesen Augenblicken, als er kaum glauben konnte, was er sah, einen Entschluss für die Ewigkeiten: er hatte sie zweifellos enttäuscht, aber er würde alles tun, um seine schlimmen Versäumnisse wieder gut zu machen – von nun an würde er sie niemals wieder im Stich lassen und er würde sie noch mehr lieben als jemals zuvor, und niemals wieder würde er sie aufgeben. Für immer und immer würde er Buße tun für seine Unstetigkeit, wobei er ihr aufs Neue beweisen würde, dass sie sich tatsächlich auf ihn verlassen konnte. Denn Tony vertraute seiner unendlich geliebten Guinievaire, und auch sie sollte ihm schon bald wieder vertrauen können.
     
     
    Guinievaire wurde an eben diesem Morgen von brennend heißen Sonnenstrahlen geweckt, vor denen sie sich eilig in die einzig schattige Ecke ihres Bettes rettete, um etwas missmutig aus dem Fenster zu blicken. Der Himmel war strahlend blau und schon in diesen frühen Stunden konnte man kaum einen Atemzug tun in ihrem Gewächshaus von einem Zimmer. Dies würde also mit großer Sicherheit der erste wirklich heiße Tag in diesem Jahr werden. Übellaunig ob dieser unerfreulichen Aussichten erhob sie sich dennoch, zog sich das dünnste Seidenkleid an, das sie finden konnte, kämmte ihr Haar und schminkte sich schließlich mit besonderer Sorgfalt. Immerhin wollte sie an diesem Tag noch weitaus schöner aussehen als ohnehin schon üblich, denn an diesem besonderen Tag erwartete sie ihren lieben Freund Marion bereits zum Frühstück. Wegen der langen Zeit, die sie deswegen miteinander verbringen konnten und wegen des warmen Wetters, war vielleicht heute endlich jener Tag gekommen, auf den sie schon lange wartete. Hitze brachte immerhin stets auch Erregung mit sich.
    Und zudem mühte sie sie sich nun schon seit einigen Wochen vergeblich, weswegen sie sich vor Kurzem endgültig entschlossen hatte, dass sie seine Standhaftigkeit nicht länger hinnehmen mochte und deshalb mit dem heutigen Tage aufhören würde, subtil oder gar zurückhaltend zu sein. Lange hatte sie genug. Sie hatte genug von ritterlichen Männern und dieser Bestrafung war sie ebenfalls vollkommen überdrüssig, also musste sie etwas unternehmen, um nicht noch länger hier gefangen zu sein und bestraft zu werden, wobei sie sich um ihre Befreiung offenbar selbst kümmern musste. Weit und breit schien auch nach beinahe sechs Monaten keine Rettung in Sicht, und um keinen Preis der Welt würde sie sich jemals bei ihrem

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