Ein silbernes Hufeisen
Erziehung und ihre Hintergründe waren grundverschieden, wodurch sie sich zumeist einig wurden, einander jedoch immer sehr viel zu erzählen hatten. Meist war ihm langweilig in seinem Leben, ein Sentiment, welches sie selbst nur allzu gut kannte. Außerdem war er restlos von sich überzeugt – vollkommen zurecht, wie sie fand – und schließlich behandelte er sie anders als sie es von männlicher Gesellschaft gewöhnt war: er hatte sie gerne und ganz bestimmt sogar fand er sie attraktiv, aber er bewunderte sie niemals unverhohlen, weswegen ihr Unterfangen heute vielleicht sogar ein wenig schwierig werden könnte. Marion wahrte nämlich stets eine ausgesprochen vernünftige und angemessene Distanz zu ihr, ganz so als ahne er, dass sie etwas Teuflisches im Schilde führte. Manchmal fand Guinievaire es beinahe unheimlich, welch untrügliches Gefühl er für ihre Handlungen und Gedanken zu haben schien.
Als sie ausgetrunken hatte, gab sie ihm das Glas dankend zurück, lehnte aber noch einmal das Essen – ein wenig Brot mit Marmelade und ein glänzend roter Apfel – ab. Dann seufzte sie laut und hob die Augenbrauen. Unerträglich heiß war es inzwischen in ihrem mit Holz verkleideten Zimmer, wo die Luft zitterte und verschwamm, während die alten Planken immer mehr Wärme verströmten, als hätten sie sich genau diesen schlimmen Tag ausgewählt, um all die Sonnenstrahlen, die sie über die Jahre hinweg gesammelt hatten, ohne Gnade auf Guinievaire und Marion zu hetzen. Mindestens vierzig Grad musste es mittlerweile in diesem schrecklich dumm konstruierten Raum messen.
Ihr Gegenüber stellte nun das Tablett beiseite auf den Boden, wobei ihm ein kleiner Tropfen Schweiß die gebräunte Stirne hinab ronn. Währenddessen ließ Guinievaire sich wieder auf ihre Kissen fallen, um erneut die Augen zu schließen und dann sehr tief und beständig ein- und auszuatmen, wobei sie mit voller Absicht den Busen heftig gegen ihren Ausschnitt drückte und einige Sekunden lang ganz einfach wortlos abwartete. Als sie die Lider wieder aufschlug, da ruhte Marions Blick genau dort, wo sie ihn gewollt und vermutet hatte.
Ein triumphales Lächeln zuckte sofort über ihr Gesicht. „Marion,“ sagte sie gespielt empört. „Wie du mich ansiehst, das ist ganz und gar ungebührlich. Ich hoffe, du bist dir darüber im Klaren.“
Unschuldig hob er daraufhin die Brauen. „Du kannst mich kaum belehren,“ konterte er mit einer Geste seiner rechten Hand. „Dieses Kleid ist ganz und gar ungebührlich. Sicherlich hast du Nachthemden, die züchtiger sind.“
„Wie du vielleicht bemerkt hast, ist es in meinem Zimmer ausgesprochen heiß. Ich bin also einzig und allein pragmatisch,“ erwiderte sie ebenso schnell und unbeeindruckt, dabei neigte sie den Kopf und grinste sehr zufrieden.
Marion schüttelte derweil etwas müde den Kopf. „Du bist nur halb so subtil, wie du glaubst, Guinievaire,“ meinte er nüchtern.
„Ich bemühe mich noch nicht einmal mehr um Subtilität, Marion,“ entgegnete sie jedoch zielstrebig. „Du weißt ohnehin, was ich will.“ Herausfordernd zuckte sie dabei eine Schulter und blickte ihrem Gärtner lange und erwartungsvoll ihn die Augen, wobei er lediglich zögerte und ein wenig die schlanken, blassen Mundwinkel fallen ließ.
Dies tat er leider immer und immer wieder, dass er so zögerlich war, seitdem Guinievaire damit begonnen hatte, ganz offen und ohne Scham mit ihm zu flirten. Und mit diesem unmöglichen Verhalten raubte er ihr unglücklicherweise den letzten Nerv. Es wäre sinnlos von ihm, zu leugnen, dass er sie anziehend fand und dass er sie wollte, immerhin war er ein zwanzig Jahre alter Mann, der sich bisher einzig der Bekanntschaft von einigen zahnlosen Dorfmädchen hatte erfreuen dürfen. Wieso also musste er beständig vorgeben, er sei nicht interessiert an ihr? Er hatte sie gerne, das hatte sie gesehen, und sie verstanden sich hervorragend, außerdem, welche Gefahren hatte er zu fürchten? War er am Ende etwa ein Kavalier und ritterlich, hatte er gar moralische Bedenken? Einen solchen Wesenszug traute Guinievaire ihm im Grunde nicht zu.
Anders als zuvor blieb Marion heute doch zumindest an ihrer Seite, wo er doch sonst gerne geflohen war vor ihren offensichtlichen Anspielungen, um sehr eilig das Thema zu wechseln. Nun sah er sie zutiefst skeptisch an. „Das ist eine sehr dumme Idee,“ erklärte er ihr überraschend direkt.
Guinievaire griff rücksichtslos nach einer seiner Hände, die neben der ihren
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